Für Anleiheinvestoren war 2022 bisher eine einzige Herausforderung: Die Rendite 10-jähriger deutscher Staatsanleihen hat sich bereits vervierfacht und liegt nun jenseits der Marke von 1.75%. Gleichzeitig haben sich die Spreads für Investment-Grade-Anleihen um über 1% ausgeweitet – das bedeutet negative Erträge. Volker Kurr, Head of Europe, Institutional, und Marc Rovers, Head of Euro Credit bei Legal & General Investment Management (LGIM), analysieren anhand dreier Faktoren, ob der Markt für Unternehmensanleihen aktuell eine Einstiegsmöglichkeit bietet:
1: Risikoprämien
Schon jetzt haben die Euro Credit Spreads, also die Risikoaufschläge europäischer Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen, 2022 neue Höchststände erreicht. In einem nicht-rezessiven Marktumfeld ist dies ausgesprochen selten.
Seit 2006 – und damit in einer Zeitspanne, die viele Krisen erlebt hat – waren die Spreads nur in 30% der Zeit so hoch. Mathematisch ausgedrückt: Sie bewegen sich im 70. Perzentil. In einigen Branchen, wie Versorgern, im Gesundheitswesen, bei Öl und Gas sowie Konsumgütern, sind die Aufschläge sogar noch höher: Im Euro Corporate Index liegen sie derzeit bei über 1,8% gegenüber deutschen Staatsanleihen. Dieses Niveau stellt aus unserer Sicht ein Polster dar, von dem aus eine weitere Ausweitung der Spreads weniger wahrscheinlich ist.
Euro-Unternehmensanleihen zeichnen sich zudem durch eine niedrigere Duration im Vergleich zu ihren Pendants in Pfund oder US-Dollar aus. Das schützt diese Anlageklasse, falls es bei Staatsanleihen zu weiteren Renditeanstiegen kommen sollte.
Die Ökonomen bei LGIM bewerten die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in Europa bis Mitte 2023 aktuell mit 50%. Eine Rezession tritt nach unserer Definition dann ein, wenn das Wirtschaftswachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen rückläufig ist. Wir sind allerdings der Ansicht, dass diese schwierigen Aussichten vom Markt weitgehend eingepreist wurden, ebenso wie drei bis vier weitere Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank in diesem Jahr.
2: Erträge aus Anleihen: Sind 3% die magische Grenze?
Die Renditen europäischer Unternehmensanleihen sind 2022 bislang stetig gestiegen und haben auf Indexebene mehr als 3% erreicht (siehe Abb. 2; Rohdaten anbei). Wie weit kann dieser Wert noch steigen?
3: Historische Überrenditen
Immer dann, wenn sich die Risikoprämien für Euro-Unternehmensanleihen auf einem Niveau wie derzeit bewegen, bieten sie Anlegern eine Möglichkeit zum Einstieg – jedenfalls historisch betrachtet.
Nach unserer Analyse hat die Anlage in Euro-Anleihen im 70. Perzentil in der Vergangenheit zu einer Überrendite von mehr als 3% in den nachfolgenden 12 Monaten geführt. Bei einem Anlagezeitraum von 36 Monaten ergibt sich auf Basis historischer Daten eine jährliche Rendite von deutlich über 4%.
Wie bei jeder zukunftsgerichteten Analyse ist zu beachten, dass die Wertentwicklung in der Vergangenheit kein Anhaltspunkt für die Zukunft ist und dass keine Garantie für Prognosen gibt. Langfristig orientierte Anleger werden sich daran erinnern, dass sich die Spreads durchaus noch mehr ausweiten können – insbesondere in Krisenzeiten in Kombination mit Stagflation und einer stärkeren Straffung der Geldpolitik. Das ist jedoch schwer vorherzusagen.
Zurück zur Eingangsfrage: Bieten europäische Unternehmensanleihen aktuell eine Chance zum Einstieg? Nach unserer Analyse sind wir überzeugt, dass die Spreads in der Tat auf lange Sicht eine Chance darstellen. Allerdings stehen dem erhebliche Risiken und Unsicherheiten gegenüber. Doch auch ganz abgesehen vom derzeitigen Marktumfeld und dem aktuellen Spread-Niveau leisten europäische Unternehmensanleihen einen Diversifizierungsbeitrag gegenüber anderen Anlageklassen, zeichnen sich durch kürzere Laufzeiten und beständige Erträge aus und können daher als zusätzlicher Puffer gegen einen Wachstumsschock dienen.
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Foto: Volker Kurr © Legal & General Investment Management (LGIM)
LGIM: Einstiegschance bei Unternehmensanleihen?
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