Je größer das Risiko eines Investments ist, umso höher muss auch die Verzinsung sein. So zumindest die Theorie. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch, dass sich Anleihen von Emittenten mit starken Marken einer großen Beliebtheit bei Anlegern erfreuen. Häufig sind die Kennzahlen dieser Emittenten mittelmäßig bis schlecht und die Kupons sind eher niedrig und wohl nur für die Emittenten attraktiv. Anleger kaufen wohl auch bei Anleihen gerne das, was sie kennen. Dabei schauen sie möglicherweise aber zu wenig auf die Kennzahlen.
Im Folgenden habe ich die EBITDA Interest Coverage Ratio (auch Zinsdeckungsgrad genannt) der aktuellen Anleiheemittenten verglichen. Die Kennzahl zeigt das Verhältnis von Jahresüberschuss vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen zu Zinsen und ähnlichen Aufwendungen auf. Je höher die Kennzahl, umso besser ist ein Unternehmen in der Lage, die Finanzierungskosten zu decken. Ein Faktor von mindestens 2,5 wäre laut Best Practice Guide für Unternehmensanleihen im Entry Standard wünschenswert.
EBITDA Interest Coverage Ratio
| EBITDA Interest Coverage Ratio | Kupon |
Underberg1 | 1,7 | 5,00%–6,00% |
Photon Energy2 | 2,36 | 6,50% |
Sun Finance3 | 7,7 | 11,00% + 3-M-Euribor |
Empfehlung* | mind. 2,5 |
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*) Empfehlungen des ehemaligen Best Practice Guide für Unternehmensanleihen im Entry Standard
1) Geschäftsjahr zum 31.03.2022
2) 1. HJ 2022
3) Q2 2022
Okay, jetzt habe ich natürlich Unternehmen miteinander verglichen, die in völlig verschiedenen Branchen tätig sind. Bei diesen Unternehmen gibt es sehr unterschiedliche Risiken. Die Frage ist auch, wie stabil die Cashflows und die Zukunftsaussichten sind.
Bei Photon Energy dürften, auch wenn es gewisse regulatorische Risiken gibt („Übergewinnsteuer“), die Perspektiven am besten sein. Das Unternehmen profitiert von hohen Strompreisen und davon, dass die Nachfrage nach erneuerbaren Energien u. a. aufgrund der geopolitischen Risiken deutlich gestiegen ist. Zudem ist der Ausbau von erneuerbaren Energien politisch gewollt.
Bei Sun Finance, einem Anbieter von Kosumentenkrediten, gibt es wohl Risiken, da sich Verbraucher aufgrund der gestiegenen Preise weniger leisten können und in eine finanzielle Schieflage kommen könnten. Aber die Kennzahlen sind sehr gut.
Bei Semper idem Underberg ist das Geschäftsmodell vermeintlich stabil. Die EBITDA Interest Coverage ist in der Investorenpräsentation aber gar nicht zu finden, sondern nur im Wertpapierprospekt. Denn die Kennzahlen zur Kapitaldienstfähigkeit sind bei Semper idem Underberg einfach schlecht. Die EBITDA Interest Coverage Ratio betrug im Geschäftsjahr zum 31.03.2020 sogar nur 0,9. Böse Zungen würden Semper idem Underberg wohl als „Zombie-Unternehmen“ bezeichnen.
Wenn wir unabhängig von der Branche auf die Kennzahlen zur Kapitaldienstfähigkeit achten, dann ist eines aktuell sehr deutlich: Das Unternehmen mit der niedrigsten Kapitaldienstfähigkeit bietet auch den niedrigsten Kupon und das Unternehmen mit der höchsten Kapitaldienstfähigkeit zahlt den höchsten Kupon… Und das dürfte es in der Theorie eigentlich nicht geben.
Christian Schiffmacher, www.fixed-income.org
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