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Das neue Schuldverschreibungsgesetz - Ein großer Wurf?

Von Peter Waltz und Dr. Patrick Scholl, Linklaters LLP

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (SchVG) am 5. August 2009 ist eine jahrzehntelange Diskussion um die Modernisierung des bis dahin geltenden Schuldverschreibungsgesetzes aus dem Jahre 1899 (vorerst) zu Ende gegangen. Mit dem SchVG will der Gesetzgeber, so die Begründung, die Schwächen des deutschen Rechts beseitigen, den Bedürfnissen der internationalen Kapitalmärkte nach Rechtsicherheit Rechnung tragen und die Transparenz strukturierter Anleihen verbessern. Die neue Ausgestaltung von Gläubigerversammlungen soll eine vollständige und richtige Information der Gläubiger und eine rasche Entscheidung mit u.U. großer finanzieller Tragweite in einem geordneten und fairen Verfahren ermöglichen. Tatsächlich kann dem Gesetzgeber nur bezüglich des letzten Punkts ein Teilerfolg attestiert werden.

Änderung von Anleihebedingungen durch Gläubigerbeschluss
Auf der Grundlage des SchVG können Emittenten in Schuldverschreibungen nach deutschem Recht zukünftig vorsehen, dass die Bedingungen der Schuldverschreibungen (Anleihebedingungen) durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger in einer in Anlehnung an aktienrechtlichen Grundsätzen organisierten Gläubigerversammlung geändert werden können. Emittenten haben die Möglichkeit, jederzeit und unabhängig von einer Krise mit ihrer Zustimmung jegliche Änderungsgegenstände einem Mehrheitsbeschluss der Gläubiger zu unterstellen, einschließlich der Durchführung eines sogenannten Debt-to-Equity-Swap. Damit wird das Instrument der Gläubigerversammlung für alle Arten von Schuldverschreibungen interessant, einschließlich strukturierter Produkte.

Mehrheitsbeschlüsse nach dem SchVG sind allerdings nur für die Gläubiger derselben „Anleihe“ verbindlich. Das bedeutet zum einen, dass Emittenten, die laufend und in großer Anzahl Schuldverschreibungen emittieren und allgemein die Anwendbarkeit von Gläubigerversammlungen vorsehen, spätestens im Falle einer Krise des Emittenten eine Vielzahl von Gläubigerversammlungen befürchten müssen, deren Kosten der Emittent zu tragen hat. Zum anderen ermöglicht das SchVG bei strukturierten Produkten, die in verschiedene Anleiheklassen aufgeteilt werden, wie Verbriefungen, keine klassenübergreifende Restrukturierung. Mehrheitsbeschlüsse durch Gläubiger werden daher zukünftig wohl überwiegend in Industrieanleihen vorgesehen werden. Bei garantierten Schuldverschreibungen kann die Restrukturierung auch auf die Garantie erstreckt werden, wenn sie deutschem Recht unterliegt.

Die Entscheidung, ob Anleihebedingungen mittels Gläubigerbeschluss geändert werden können, muss der Emittent vor der Emission treffen. Der Gesetzgeber lässt eine nachträgliche Umstellung auf das SchVG nur bei Emissionen zu, die vor Inkrafttreten des Gesetzes begeben wurden.

Der gemeinsame Vertreter
Das SchVG ermöglicht die Bestellung eines weisungsgebundenen, gemeinsamen Vertreters für die Gläubiger entweder durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger oder vor Emission durch den Emittenten. Damit kann zukünftig auch im deutschen Recht eine dem Trustee im anglo-amerikanischen Rechtskreis vergleichbare und übliche Rechtsfigur als Schaltstelle zwischen dem Emittenten und den Gläubigern eingebunden werden. Der gemeinsame Vertreter kann sogar mit einer Vollmacht ausgestattet werden, die eine Geltendmachung von Rechten durch die Gläubiger ausschließt.

Die Rechtsfigur des gemeinsamen Vertreters wird in der Praxis allerdings erst dann die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen, wenn die als gemeinsamen Vertreter agierenden Personen von ihren rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen und sich nicht aufgrund einer potenziellen Haftung auf informelle Tätigkeiten beschränken. Da der gemeinsame Vertreter nach dem SchVG einer zum Teil weitergehenden Haftung unterliegt als sein anglo-amerikanisches Pendant, bleibt abzuwarten, ob er sich in deutschem Recht als feste Größe etablieren wird.

Materiell-rechtliche Neuerungen
In materiell-rechtlicher Hinsicht ist das SchVG eher von einem Regelungsverzicht als von einer die Rechtsunsicherheit beseitigenden Regelungsinitiative geprägt. Das gilt zunächst für die Frage der Inhaltskontrolle von Anleihebedingungen nach den zivilrechtlichen Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB-Recht). Der Gesetzgeber hat sich hier bewusst zurückgehalten und zielt auf eine zukünftige Klarstellung im europarechtlichen Rahmen. Der Bundesgerichtshof (BGH) ist dagegen weniger zurückhaltend und hat in seinem jüngsten Urteil vom 30. Juni 2009 (XI ZR 364/08) erneut die Anwendbarkeit des AGB-Rechts bestätigt.

Des Weiteren hätten sich sowohl Emittenten als auch Gläubiger gesetzgeberische Klarstellungen und mehr Rechtssicherheit bei der Verwendung von üblichen Regelungsinhalten und Einschränkungen von Rechten in Anleihebedingungen gewünscht. Zumindest bei der einseitigen Abänderung von Anleihebedingungen hat der BGH in der zuvor zitierten Entscheidung für mehr Rechtssicherheit gesorgt. Nach dem BGH sind einseitige Änderungen der Anleihebedingungen jedenfalls dann zulässig, wenn die Voraussetzungen und die Folgen der einseitigen Anpassungen deutlich geregelt und damit kalkulierbar sind. Diese Rechtsprechung wird auch unter dem SchVG zu beachten sein.

Im Hinblick auf die Einschränkung von Kündigungsrechten hat das SchVG eher zu mehr Rechtsunsicherheit geführt. Laut Gesetz kann nunmehr die Wirksamkeit der Kündigung von Schuldverschreibungen durch Gläubiger von einem bestimmten Mindestquorum abhängig gemacht werden. Allerdings werden Emittent und Gläubiger mit einer dreimonatigen Schwebezeit belastet, in der die Kündigung wirksam ist und der Emittent die Schuldverschreibungen eigentlich zurückzahlen müsste, in der aber auch die nicht kündigenden Gläubiger die Kündigung für unwirksam erklären können. Das Gesetz geht zudem davon aus, dass die kündigenden Gläubiger jeweils nur die von ihnen selbst gehaltenen Schuldverschreibungen kündigen. Damit missachtet der Gesetzgeber aber bei vielen strukturierten Produkten das – gerade auch im Gläubigerinteresse liegende – Bedürfnis nach einer Gesamtwirkung der Kündigung.

So bleibt letztlich nur das Transparenzgebot als wesentliche Neuerung gegenüber dem ABG-Recht zu nennen. Die Einführung des objektiven Maßstabes eines „sachkundigen Anlegers“ zum Zwecke der Prüfung der Verständlichkeit der Anleihebedingungen und die Abkehr vom Maßstab des „durchschnittlichen Anlegers“ sind zu begrüßen. Zu kritisieren ist, dass das Gesetz im Vertragsrecht einen Transparenzweg einschlägt, der als solches nicht mit den Regelungen des Prospektrechts oder der Haftung für Falschberatung harmoniert. Es bedarf hier eines ganzheitlichen und konsistenten Regelungsansatzes, um zu gewährleisten, dass Schuldverschreibungen auf der Grundlage einer verständlichen und anlegergerechten Dokumentation und Beratung vermarktet werden.

Fazit:
Das SchVG erweitert gegenüber der alten Rechtslage die Restrukturierbarkeit von Schuldverschreibungen nach deutschem Recht und stellt ein modernes Gläubigerversammlungsverfahren bereit. Die Regelungen des SchVG berücksichtigen jedoch zu wenig die Vielgestaltigkeit der Finanzprodukte, die dem SchVG unterliegen, und wirken für Emittenten und Investoren wenig reizvoll. Die eigentlich wünschenswerten Instrumente des SchVG drohen ignoriert zu werden, so dass abzuwarten bleibt, ob die gewollte Stärkung des deutschen Rechts im internationalen Vergleich eintreten wird.


Mehr zum neuen Schuldverschreibungsgesetz finden Sie auch im "BONDBOOK Alles über Anleihen", das für 19,90 Euro (inkl. UST und Verand) beim Verlag zu beziehen ist: Fax +49 (0) 8171 / 41 80 4-99

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