Das aktuelle globale Umfeld ist für Schwellenländeranleihen (EMD) zweifellos problematisch. Stark steigende Zinsen haben zur Folge, dass sich das weltweite Wachstum abschwächt und die globalen Liquiditätsbedingungen deutlich restriktiver sind. Erschwerend hinzu kommen der starke US-Dollar, der Ukraine-Krieg und die strauchelnde Wirtschaft Chinas. Trotz allem spricht einiges dafür, dass das Risiko-Ertrags-Verhältnis für EMD jetzt attraktiv ist, schreibt Brett Diment, Head of Global Emerging Market Debt bei abrdn, in einem aktuellen Marktkommentar.
Renditen aus historischer Sicht attraktiv
Auf den Anleihemärkten sei die Höhe der Rendite die wichtigste Bewertungskennzahl. „Die Geschichte der Schwellenländeranleihemärkte zeigt, dass es stets vorteilhaft war zu kaufen, wenn die Renditen auf historisch hohen Niveaus lagen“, erklärt Diment. Ein defensiverer Aspekt sei, dass eine Etragskomponente von einer gewissen Größe für die Gesamtrenditen wie ein Puffer wirke, falls die Kurse niedrig bleiben. „Die Indexrendite von 9,66 % für EM-Staatsanleihen in Hartwährung lag per Ende Oktober 437 Basispunkte höher als Ende 2021 und weit über dem 20-Jahresdurchschnitt von 6,43 %. Zum Vergleich: Als die Pandemie für große Unsicherheit sorgte, erreichte die Indexrendite am 19. März 2020 einen Höchststand von 7,99 %.“ Die Renditen in anderen EMD-Segmenten weisen laut dem Investmentexperten zurzeit ähnliche Verwerfungen auf, was auf potenziell attraktive Einstiegsniveaus hindeutet.
Inflation dürfte bald den Höchststand erreichen
Der wichtigste Treiber für die höheren Zinssätze und weltweit hohen Staatsanleiherenditen sei die ungewöhnlich hohe und weiter steigende Inflation. Doch in den meisten Schwellenländern scheine diese nun bald ihren Höhepunkt zu erreichen und dürfte nachhaltig einem niedrigeren Trendpfad folgen. „Sobald sich die Hinweise verdichten, sollten die Zentralbanken in der Lage sein, die Geldpolitik zunächst nicht weiter zu straffen und sie schließlich immer weiter zu lockern, um das Wachstum zu stützen“, schätzt Diment. Die Fed könnte vor dem Ende des ersten Halbjahrs 2023 die Zinserhöhungen beenden und die Fed Funds Rate bei rund 5 % ihren Höchststand erreichen. Weil dies in den aktuell hohen Renditen der US-Treasuries bereits im Wesentlichen eingepreist sei, scheine der Spielraum für anhaltend negative Impulse für EM-Anleihen künftig deutlich begrenzter zu sein. „Der Impuls könnte im Gegenteil sogar ohne Weiteres positiv werden.“
Freundliches Bild auf der Angebotsseite
Die Angebotssituation bei EMD sei aktuell überaus günstig. „Aufgrund der Marktbedingungen belief sich in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 das Emissionsvolumen von Staats- und Unternehmensanleihen auf 352 Milliarden USD – ein gewaltiger Rückgang im Vergleich zu den 724 Milliarden USD im Gesamtjahr 2021“, erklärt Diment. Viele Emittenten würden sich dafür entscheiden, die im Umlauf befindliche Anleihen zu tilgen, als zu weniger attraktiven Konditionen zu refinanzieren. „Laut JP Morgan könnten die Neuemissionen an EM-Staatsanleihen und EM-Unternehmensanleihen in Fremdwährung insgesamt ein um rund 102 Milliarden USD geringeres Gesamtvolumen aufweisen“, so Diment. Bei ansonsten gleichen Bedingungen dürfte ein geringeres Anleiheangebot die Renditen drücken. Für professionelle Anleger dürfte dieser „Käufermarkt“ auch zu attraktiven Prämien bei Neuemissionen führen.
Vergleichsweise gute wirtschaftliche Fundamentaldaten
„Was die Fundamentaldaten betrifft, werden schwächere Wachstumsbedingungen voraussichtlich eine negative Wirkung auf die Steuereinnahmen, die Gewinne der EM-Unternehmen und die Ausfallquoten haben“, schätzt Diment. Doch in vielen Fällen werde der erwartete Wachstumsschock infolge der höheren Zinsen viel schwächer ausfallen als für Industrieländer. Gleichzeitig erscheine die aktuelle Dynamik der Fiskalpolitik und der öffentlichen Verschuldung in vielen Schwellenländern in letzter Zeit weniger problematisch als in Industrieländern, was auch an den geringeren pandemiebedingten Ausgaben liege. „Dies trifft im Großen und Ganzen auch auf die Unternehmen zu, denn die Verschuldung von EM-Unternehmen ist alles in allem rund ein- bis zweimal niedriger als von Unternehmen mit ähnlichem Rating aus Industrieändern,“ sagt Diment.
Selektivität entscheidend
Das Risiko-Ertrags-Verhältnis für EMD erscheine aktuell recht attraktiv. Dennoch ist für den Investmentexperten im aktuellen Umfeld Selektivität entscheidend: „Jedes Land und jeder Emittent ist einzigartig und den Hauptrisikofaktoren unterschiedlich stark ausgesetzt. Wir denken, dass eine umsichtige Auswahl der Länder und Unternehmensanleihen in einem von schwächerem Wachstum geprägten Umfeld an Bedeutung gewinnt.“ Dies gelte auch, um potenzielle „Wertfallen“ zu vermeiden – wenn höhere Anleiherenditen möglicherweise nicht für die Gesamthöhe des Risikos entschädigen.
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Foto. Brett Diment © abrdn
abrdn: Einmalige Gelegenheiten bei Schwellenländeranleihen
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