• Die weltweite Inflation hat einen Zins- und letztlich einen Bewertungsschock an den Finanzmärkten ausgelöst, der sich in höheren Renditen bei Staatsanleihen, größeren Spreads an den Kreditmärkten und niedrigeren Kurs-Gewinn-Verhältnissen bei Aktien widerspiegelt.
• In der Vergangenheit endeten Straffungszyklen der Zentralbanken häufig in Rezessionen. Angesichts der erwarteten Zinserhöhungen durch die Zentralbanken und des historisch niedrigen Niveaus des Verbrauchervertrauens ist dies sehr bezeichnend.
• Obwohl die meisten Risikoanlagen viel günstiger scheinen als zu Jahresbeginn, dürfte es noch zu früh sein, um Positionen deutlich aufzustocken. Sie werden wahrscheinlich weiterhin unter Bewertungsdruck durch steigende Realrenditen und negativen Einfluss durch die Wachstumsabschwächung stehen.
Das globale Umfeld war auch im zweiten Quartal herausfordernd für Anleger: Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, der Corona-Ausbruch in China und der weltweite Inflationsanstieg waren nur schwer einzupreisen. Doch wie schon zu Jahresbeginn war das bestimmende Marktthema in den letzten Monaten die Anpassung der globalen Zinserwartungen, die die Stimmung und die Performance aller Anlageklassen dominierte.
Inflations-, Zins-, Bewertungsschock
Der weltweite Inflationsschock hat einen Zinsschock und letztlich einen Bewertungsschock an den Finanzmärkten ausgelöst, der sich in höheren Renditen bei Staatsanleihen, größeren Spreads an den Kreditmärkten und niedrigeren Kurs-Gewinn-Verhältnissen bei Aktien niederschlägt. Anleger mussten in diesem Jahr zweistellige Kursverluste bei Aktien, Unternehmensanleihen, Schwellenländeranleihen, Staatsanleihen und Gold hinnehmen. In diesem destruktiven Marktumfeld mit hoher Volatilität und hoher Korrelation gab es nur sehr wenige sichere Häfen.
Der Umfang der diesjährigen Marktbewegungen könnte zwar den Eindruck erwecken, dass die Neuausrichtung der weltweiten Zinserwartungen bereits weit fortgeschritten ist, doch weder die Wirtschaftsdaten noch die Botschaften der Zentralbanken stützen diese Ansicht deutlich. Obwohl die Inflation in den großen Volkswirtschaften kurz vor ihrem Höchststand scheint, dürfte dies allein nicht ausreichen, um den Aufwärtstrend bei den Zinserwartungen umzukehren. Da sich die Inflation in den meisten Volkswirtschaften auf einem jahrzehntelangen Höchststand befindet, das Lohnniveau stark ansteigt und die Arbeitslosigkeit einen zyklischen Tiefstand erreicht hat, dürfte eine deutliche Trendwende in der Wirtschaft notwendig sein, um den Standpunkt zu untermauern, dass die Zinserwartungen hoch genug sind. Um die Zinssituation nachhaltig zu entspannen, ist wahrscheinlich ein deutlicher Abbau der Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt erforderlich, damit die derzeitige Entwicklung der Löhne und der Inflation im Dienstleistungssektor gestoppt werden kann.
Die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Umdenkens bei den Zinssätzen sind bemerkenswert. Während die Finanzmärkte im September letzten Jahres noch nicht mit einer Zinserhöhung der Federal Reserve (Fed) in diesem Jahr rechneten, gehen sie nun davon aus, dass die Zinsen 2022 um mehr als 3% steigen werden. Die Zinsänderung in der Eurozone ist zwar aktueller, aber auch unvermittelt. Anfang März rechnete man kaum damit, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen in diesem Jahr anheben würde; heute gehen die Märkte davon aus, dass die Zinsen bis Dezember um etwa 1,75% steigen werden und dass es darüber hinaus weitere Anhebungen geben wird. Da sich die Zinspolitik geändert hat, haben die meisten Zentralbanken außerhalb Japans ihre Programme zur quantitativen Lockerung beendet und gehen zu einer quantitativen Straffung über. Dadurch dürften in den nächsten 18 Monaten etwa 3 Billionen US-Dollar aus den globalen Märkten abgezogen werden, was die geldpolitische Straffung durch die Zinsen verstärken wird.
Das wird weh tun
Es ist kaum verwunderlich, dass die Finanzmärkte angesichts einer so raschen Änderung der geldpolitischen Rahmenbedingungen in Turbulenzen geraten sind. Während die Geldpolitik der Zentralbanken in den großen Volkswirtschaften seit der globalen Finanzkrise bewusst marktfreundlich war, hat sich der Schwerpunkt nun eindeutig auf die Inflationsbekämpfung verlagert. Mit der Verschärfung steigt auch das Risiko, dass die Reaktion der Währungshüter Kollateralschäden in der Realwirtschaft oder auf den Finanzmärkten verursacht.
Natürlich zeigt die Geschichte, dass viele Straffungszyklen der Zentralbanken in Rezessionen gipfelten. Die grundlegenden Daten zeigen, dass fast 80% der US-Straffungszyklen seit dem Zweiten Weltkrieg so endeten. Allerdings waren viele dieser Konjunkturabschwächungen kurz und gering, und nicht alle gelten als durch Zentralbankmaßnahmen verursacht. In einigen Fällen waren wahrscheinlich Ölschocks oder fiskalische Straffungen die Hauptursachen für die Abschwächung; für die Rezession im Jahr 2020 gilt die Pandemie als Auslöser.
Optimisten können betonen, dass außerhalb der USA weniger Rezessionen auf die Straffungszyklen der Zentralbanken folgten. Sie könnten auch anmerken, dass weiche Landungen in den letzten Jahren häufiger geworden sind. Dies dürfte jedoch darauf zurückzuführen sein, dass die Rezessionswahrscheinlichkeit offenbar von den wirtschaftlichen Bedingungen abhängt, die zu Beginn des Zinszyklus herrschen. Während niedrige Inflationsraten, wie in den letzten Jahrzehnten, in der Regel mit harmlosen Konjunkturabschwächungen einhergingen, warnt die Geschichte davor, dass härtere Landungen wahrscheinlicher sind, wenn die Zinszyklen mit überhitzten Volkswirtschaften beginnen. Als die Kerninflation in den USA und den meisten anderen Ländern so hoch war wie heute, folgte auf 80% der Straffungszyklen in den G10-Ländern eine Rezession. Die Arbeitsmarktstatistiken sind ebenfalls besorgniserregend. Seit 1955 hat die US-Wirtschaft immer innerhalb von zwei Jahren nach jedem Quartal, in dem die Lohninflation wie heute über 5% und die Arbeitslosigkeit unter 5% lag, eine Rezession erlebt.
Alles deutet also darauf hin, dass das Rezessionsrisiko im nächsten Jahr hoch ist. Während die solide Finanzlage der Verbraucher und Unternehmen in den meisten Volkswirtschaften Hoffnung auf die Vermeidung eines tiefen Einbruchs macht, könnten die künftigen Entwicklungen in Russland, China und auf den Rohstoffmärkten die Wahrscheinlichkeiten verringern. Zumindest ist mit einer deutlichen Verlangsamung zu rechnen, da die Zinserhöhungen den derzeitigen Druck auf die Realeinkommen der Verbraucher noch verstärken. Es ist bedenklich, dass einige Indikatoren für das Verbrauchervertrauen n Großbritannien und in den USA auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen gesunken sind, d. h. unter die Werte der sechs Rezessionen seit 1980.
Aufgrund dieser Bedenken sind die weltweiten Aktienkurse seit ihrem Höchststand im Januar um mehr als 20% gefallen. Dies ist ein beträchtlicher Verlust für einen Kursrückgang außerhalb einer Rezession und nicht allzu weit von dem durchschnittlichen Rückgang von 24% entfernt, der in vergangenen Rezessionen zu verzeichnen war. Während Abschwünge außerhalb von Rezessionen in der Regel drei Monate dauern, geht der aktuelle Rückgang bereits in den fünften Monat. Das Gefühl, dass die Aktien nun viele schlechte Nachrichten eingepreist haben, sollte jedoch durch die Tatsache relativiert werden, dass der Rückgang mit ungewöhnlich hohen Bewertungen begann, insbesondere bei den amerikanischen Mega-Cap-Wachstumswerten. Bei Letzteren sind die Bewertungen immer noch hoch, andere Aktienmärkte scheinen jetzt für eine Abschwächung, nicht aber für eine Rezession bewertet zu sein. An den Märkten für Unternehmensanleihen vermitteln die Credit Spreads eine ähnliche Botschaft. Aus einer Cross-Asset-Perspektive sehen wir, dass die Aktienbewertungen mit den Realrenditen von Staatsanleihen übereinstimmen. Dies verspricht zwar, dass der Aktienabschwung beendet sein wird, sobald der Straffungszyklus der Zentralbank vollständig eingepreist ist, deutet aber auch darauf hin, dass Aktien wahrscheinlich unter Druck bleiben werden, bis dieser Punkt erreicht ist.
Während sich die Aktienbewertungen zumindest teilweise an das schwierige wirtschaftliche und politische Umfeld in diesem Jahr angepasst haben, sehen wir weniger Anzeichen dafür, dass die Gewinnprognosen und die Positionierung der Anleger noch hinterherhinken. Die Konsensschätzungen der Analysten für die Unternehmensgewinne 2022 und 2023 sind in den letzten Monaten sogar gestiegen, obwohl die Ökonomen ihre Prognosen für das BIP-Wachstum immer wieder nach unten korrigiert haben. In Rezessionen geht das Gewinnwachstum in der Regel um über 20% zurück. Selbst wenn dies vermieden wird, erscheinen die aktuellen Schätzungen eines weltweiten Gewinnwachstums von 8% für 2022 und 2023 optimistisch, sollte sich die Weltwirtschaft wie von uns erwartet abkühlen.
Vollständig investierte Bären
Indikatoren für die Positionierung und Stimmung der Anleger sind eine weitere Möglichkeit, um zu beurteilen, was von den Märkten berücksichtigt wurde. Für Aktien sehen wir hier gemischte Signale. Viele Indikatoren deuten darauf hin, dass die allgemeine Aktienstimmung jetzt auf einem Niveau ist, das wir normalerweise als konträres Kaufsignal betrachten würden. Ein Blick auf die Positionierung der Anleger zeigt jedoch ein anderes Bild. Die Anleger sind mit hohem Aktienexposure in dieses Jahr gestartet und haben weiter gekauft. Weltweit haben Anleger in diesem Jahr 220 Mrd. US-Dollar netto aus Geldmarktfonds abgezogen und fast 200 Mrd. US-Dollar netto in Aktien investiert.
Es ist kompliziert
Auch wenn Aktien, Kredite und die meisten anderen Risikoanlagen jetzt günstiger sind als zu Jahresbeginn, scheint es noch zu früh zu sein, um Positionen deutlich aufzustocken. Eine nachhaltige Erholung der Risikobereitschaft und der Risikoanlagen lässt sich nur schwer begründen, solange es keine Anzeichen dafür gibt, dass die Inflation ihren Höhepunkt überschritten hat, die Arbeitsmärkte sich abkühlen und die Zentralbanken in einer Weise reagieren, die hoffen lässt, dass sie den Widrigkeiten trotzen und eine weiche Landung herbeiführen können. Bis dahin dürften Risikoanlagen weiterhin unter Bewertungsdruck durch steigende Realrenditen und negativen Einfluss durch die Wachstumsabschwächung stehen.
Trotz der Turbulenzen der letzten Monate sind wir gegenüber chinesischen Aktien, die bereits eine große Baisse, einen erheblichen Bewertungsabschlag und die Kapitulation der Wholesale-Anleger erlebt haben, positiver gestimmt. Wir sehen uns durch die zunehmenden Anzeichen ermutigt, dass das umfassende regulatorische Eingreifen im vergangenen Jahr nun weitgehend beendet ist. Wir sind weniger pessimistisch gegenüber Staatsanleihen, da sich die Renditen nach oben bewegen und wir der Ansicht sind, dass sie mit der Verlangsamung des Wachstums einen Teil ihrer risikoabsichernden Eigenschaften wiedererlangen sollten.
Alles, was den Aufwärtsdruck auf die Zinsen verstärkt, dürfte ein Abwärtsrisiko für die Märkte darstellen. Je höher die Zinssätze steigen müssen, desto größer ist das Risiko einer Rezession oder einer Art von Finanzkrise. Die Entwicklungen in Russland und auf den Rohstoffmärkten geben nach wie vor Anlass zur Sorge. Im Großen und Ganzen gibt es wahrscheinlich zwei Wege zu einem optimistischeren Investitionsumfeld. Der steinigere Weg wäre, wenn die Märkte so weit abverkaufen, dass die meisten plausiblen negativen wirtschaftlichen Ergebnisse vollständig eingepreist werden. Der konstruktivere Weg wäre, wenn der Inflationsdruck überraschend schnell nachlässt, sodass die Anleger zu dem Schluss kommen, dass der Zinszyklus vollständig eingepreist ist. Eine Entspannung auf den Rohstoffmärkten könnte zu einem solchen Ergebnis führen. Auch eine deutliche Zunahme des Arbeitskräfteangebots könnte den Druck von den Zentralbanken und Finanzmärkten nehmen.
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Foto: Paul O’Connor © Janus Henderson Investors
Multi-Asset-Ausblick Q2 2022 - Das wird weh tun
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