Die US-Notenbank Fed lässt sich mit dem Beginn der Zinssenkungsphase Zeit, was zu einer weiteren Stärkung des US-Dollar und einer weltweiten Verschärfung der Finanzierungsbedingungen geführt hat. Diese Konstellation sorgt auch ohne geopolitische Spannungen im Nahen Osten für erhöhte Volatilität an den Finanzmärkten. Bisher sorgte das unerwartet gute Wirtschaftswachstum dafür, dass die Aktienmärkte die restriktive Geldpolitik gut verdauen konnten. Im aktuellen Umfeld mit hartnäckiger Inflation ist das Wachstum umso wichtiger. Denn wenn die Wachstumsdynamik vor der Inflation nachlässt, werden sich die Anleger auf ein Stagflationsszenario einstellen. Einen kleinen Vorgeschmack darauf lieferte die Reaktion der Finanzmärkte auf das schwächer als erwartet ausgefallene US-BIP-Wachstum im 1. Quartal 2024. Für einmal wurden schlechte Konjunkturnachrichten nicht als gute Nachrichten wahrgenommen. Aktien- und Anleihenmärkte gaben nach.
Die Korrektur an den Märkten im April werten wir als Konsolidierung und nicht als Wiederholung der Marktentwicklung 2022. Die Finanzmärkte beruhigten sich nach der Ankündigung des US-BIP, obwohl die Inflationszahlen für März die erhöhte US-Inflation bestätigten. Zudem waren die US-BIP-Zahlen ein Blick in den Rückspiegel. Die konjunkturellen Frühindikatoren haben sich zuletzt wieder verbessert und deuten auf eine höhere Wirtschaftsaktivität in den kommenden Monaten hin. Bei anhaltend robustem Wachstum werden sich die Aktienmärkte weiterhin positiv entwickeln, allerdings langsamer und volatiler. Die Anleihenmärkte – insbesondere in den USA – sind mittelfristig attraktiv bewertet. Kurzfristig sind sie einer erhöhten Inflationsvolatilität ausgesetzt. Auch wenn die Notenbanken deshalb zögern, die Zinsnormalisierung einzuleiten, solange die Konjunktur hält und solange der nächste Zinsschritt der Notenbanken – insbesondere der Fed – eine Zinssenkung und keine Zinserhöhung sein wird, bleibt das Umfeld für Anleger konstruktiv.
US-Zinssenkungen verzögern sich
Die US-Inflation, die im März bereits zum vierten Mal in Folge höher als erwartet ausgefallen ist, lässt baldige Zinssenkungen der US-Notenbank immer unwahrscheinlicher aussehen. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell betonte in einer Rede, dass ihm die jüngsten Daten keine größere Zuversicht für Zinssenkungen vermittelt hätten. Die Notenbank müsse so lange auf eine restriktive Geldpolitik setzen, wie es nötig sei, um die weiterhin erhöhte Inflation zu bekämpfen. Wir rechnen deshalb nur noch mit zwei Zinssenkungen in diesem Jahr. Am Terminmarkt sind bis Ende 2024 sind nicht einmal mehr zwei Zinssenkungen eingepreist. Das US-Leitzinsniveau soll gemäß Terminmarkt per Dezember 2024 immer noch 5% betragen. Die geldpolitische Neubewertung in den USA hat die Renditen der Staatsanleihen ansteigen lassen und die Anleihenkurse belastet. Die Verzögerung der Zinssenkungen dürfte sich bremsend auf die Konjunktur auswirken und die langfristigen Inflationsrisiken reduzieren. Die Finanzmärkte gehen aktuell von keinem Leitzinssenkungspfad aus, der den Abbau der restriktiven Geldpolitik auf ein neutrales Niveau impliziert. In diesem Kontext notieren für uns die langfristigen Realrenditen auf zu hohem Niveau. Sobald die Zinserwartungen voraussichtlich im 2. Halbjahr sinken, erwarten wir auch einen Rückgang der längerfristigen Renditen, wie es schon in den Jahren 2007 und 2019 der Fall war.
Andere Ausgangslage in Europa
Nachdem die überraschend hohen Inflationszahlen in den USA zu einer Neubewertung der Aussichten für die Geldpolitik weltweit geführt haben, rechnen die Finanzmarktteilnehmer in diesem Jahr mit weniger und langsameren Zinssenkungen im Euroraum und im Vereinigten Königreich. Die Geldmärkte implizieren in diesem Jahr noch drei Senkungen der Europäischen Zentralbank. Im Fall der Bank of England kalkulieren die Anleger in diesem Jahr mit weniger als zwei Zinssenkungen à 0,25%. In Großbritannien sehen wir einen deutlich stärkeren Inflationsrückgang als in den USA. Falls die britischen Inflationsdaten für April diese Tendenz bestätigen, dürften die Finanzmärkte wieder mehr Zinssenkungspotenzial erkennen und eine positivere Einschätzung zu britischen Staatsanleihen einnehmen.
Devisenmarkt mit Fokus auf Zentralbanken
Auch am Devisenmarkt werden die Notenbanken mit Argusaugen beobachtet. Hier waren in den ersten vier Monaten des neuen Jahres fast ausschließlich die Markterwartungen für die Geldpolitik der Notenbanken maßgebend für die Wechselkursveränderungen unter den großen Industrieländerwährungen. In dieses Bild passt, dass der australische Dollar Ende April am stärksten abschnitt, da aufgrund hoher Inflationszahlen die Zinssenkungserwartungen für die australische Notenbank vollständig ausgepreist wurden. Hingegen blieb der Schweizer Franken unter Abgabedruck. Die Inflation in der Schweiz hat im März erneut nach unten überrascht. Die Jahresteuerung fiel von 1,2% im Februar auf nunmehr 1,0% im letzten Monat. Diese lässt eine weitere Zinssenkung der Schweizerischen Nationalbank wahrscheinlicher erscheinen. Unter anderem aufgrund der seit Anfang Jahr erfolgten Abschwächung des Frankens halten wir die Markterwartungen für zwei weitere Zinssenkungen bis Ende Jahr aber nach wie vor für zu hoch.
Aktien: Gesunde Konsolidierung nach starkem Anstieg
Der MSCI Welt legte im 1. Quartal stärker zu als historisch durchschnittlich für ein ganzes Jahr zu erwarten ist. Insofern war eine Verschnaufpause überfällig. Dafür, dass es sich nicht um mehr als eine Konsolidierung handelt, spricht die robuste Verfassung der globalen Konjunktur: Für die USA erwarten wir zwar einen Rückgang der Wachstumsraten, aber von einer Schrumpfung ist die Wirtschaft noch weit entfernt. In Europa gehen wir sogar von einer leichten Erholung aus. Angesichts dessen sollten sich auch die Unternehmensgewinne robust entwickeln. Der bisherige Verlauf der Berichtssaison für das 1. Quartal bestätigt diese Einschätzung. Die positiven Überraschungen überwiegen deutlich und die Ausblicke lassen nicht auf erhöhten Pessimismus schließen, sodass die Finanzanalysten ihre Gewinnerwartungen sogar weiter nach oben schrauben. Der veränderte geldpolitische Ausblick für die US-Notenbank lässt allerdings die Bewertung einiger Märkte sportlicher als bisher erscheinen.
Bewertung der Aktienmärkte rückt in den Fokus
In der vorherigen Ausgabe schrieben wir, dass US-Aktien trotz ihrer relativ hohen Bewertung aus fundamentaler Sicht nach wie vor attraktiv seien. Mit den erneut überraschend starken Inflationszahlen und unserem angepassten Ausblick für den US-Leitzinspfad, rückt ihre Bewertung jedoch wieder näher in den Fokus der Investoren. Dies verstärkt sich dadurch, dass unsere geldpolitischen Erwartungen für die europäischen Zentralbanken weitgehend unverändert geblieben sind. Wir gehen zwar nach wie vor von einem Rückgang der globalen Inflationsraten aus, aber seine Geschwindigkeit dürfte sich unter anderem auch wegen der wieder gestiegenen Rohstoffpreise verlangsamen. Hinzu kommt für den US-Markt, dass die enormen Gewinnsteigerungen der Indexschwergewichte ab dem laufenden Quartal deutlich abnehmen werden. Wir rechnen deshalb mit einem langsamen Bewertungsrückgang.
Der japanische Markt ist zwar bei Weitem nicht so hoch bewertet wie der in den USA. Allerdings haben die Besserungen bezüglich der Unternehmensführung (Corporate Governance) sowie die Abwertung des japanischen Yen die Gewinnwachstumserwartungen und damit das Kurs-Gewinn- oder das Kurs-Buchwert-Verhältnis deutlich ansteigen lassen. Mittlerweile ist die Yen-Schwäche allerdings auf der Tagesordnung der Regierung und der Bank of Japan angekommen. Die verbalen Interventionen haben zugenommen. Wir erwarten neu zwei Zinserhöhungen und in deren Folge eine Stabilisierung des Yen. Dies dürfte zu einer Anpassung der hohen Gewinnerwartungen führen. Insofern rechnen wir mit einer vorübergehenden Bewertungskonsolidierung.
Eurozone gegenüber UK bevorzugt
Mehr Potenzial sehen wir in Europa. Das Wirtschaftswachstum ist zwar niedriger als in den USA, aber die Indikatoren deuten auf eine leichte Beschleunigung. Der Zinssenkungszyklus dürfte sowohl in der Eurozone als auch in Großbritannien früher eingeleitet werden. Beides zusammen spricht für eine dynamischere Gewinnentwicklung als bislang erwartet. Dabei liegt die Bewertung beider Märkte nach wie vor weit unter derjenigen der US-Unternehmen. Insofern hat sich unsere Zuversicht für den Aktienmarkt der Eurozone nochmals verstärkt. Der britische Markt besitzt zwar im Vergleich zum Weltindex ein Übergewicht an defensiven Sektoren, die bei einer konjunkturellen Beschleunigung weniger gefragt sind. Allerdings weist er auch ein Übergewicht an rohstoffnahen Sektoren auf, für die wir im aktuellen globalen Umfeld wieder mehr Potenzial sehen. Unter anderem wegen der von uns erwarteten Pfundschwäche bleiben wir als in Schweizer Franken rechnende Investoren jedoch skeptisch und bevorzugen die Eurozone.
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Foto: © pixabay
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