Die Anleihenrenditen sind wieder so hoch wie in den ersten fünf Jahren des dritten Jahrtausends: Manches scheint ähnlich wie 2006 und 2007, als die Leitzinsen zum letzten Mal lange nicht gesenkt wurden. Wichtiger dürften aber die Unterschiede sein: Die Weltwirtschaft wächst heute schwächer, und Corona hat dem Geschäftsklima ebenso geschadet wie der Energiepreisschock. Seit der Zinserhöhung der Fed im Juli – die viele für die letzte halten – liegen die Märkte im Minus, ganz anders als 2006. Damals ging es nicht gut aus. Auf gut drei Jahre mit straffer Geldpolitik folgte 2008 die internationale Finanzkrise. Vielleicht sollten die Notenbanken die Zinsen deshalb senken, bevor es zu spät ist. Oder ist es noch zu früh? Ich fürchte, dass Anleger umso mehr verlieren, je länger alles so bleibt, wie es ist.
We can ... Rule the World: Als die US-Staatsanleihenrenditen 2007 zum letzten Mal so hoch waren wie heute, arbeitete ich schon bei AXA Investment Managers. Natürlich wusste ich nicht, was kommen würde – der Beinahezusammenbruch des Welt¬finanzsystems. Es war eine schöne Zeit. Im Frühjahr stand „Umbrella” von Rihanna auf Platz 1 der britischen Charts, Take That feierten Reunion, und Manchester United wurde zum 16. Mal englischer Fußballmeister. In den USA, Großbritannien und im Euroraum waren die Leitzinsen kräftig gestiegen, weil die Notenbanken weniger Inflation wollten. Sie hatte durch die Erholung nach der Dotcom-Rezession stark zugelegt. Wegen der hohen Renditen konnte man mit Anleihen ordentlich verdienen. Der US-Staatsanleihenindex von ICE Bank of America legte 2005 bis 2007 jedes Jahr um durchschnittlich etwa 4,75% zu, und mit britischen Titeln verdiente man noch etwas mehr. Nach der Finanzkrise und mit dem Beginn des Quantitative Easing gingen die laufenden Anleihenerträge dann deutlich zurück – in den USA lagen sie ab 2010 unter 2,5%.
Zeit für Risikomanagement? Fed und EZB haben ihre Leitzinsen damals über ein Jahr lang nicht gesenkt – die Fed von Juni 2006 bis September 2007, die EZB von Juni 2007 bis November 2008. Es gibt durchaus Gemeinsamkeiten mit heute. Auch damals war die Inflation für die Notenbanken zu hoch, Personal war knapp, und die Konjunktur schien zumindest eine Zeit lang immun gegen eine straffere Geldpolitik. Anders als heute wuchs die chinesische Wirtschaft Mitte der 2000er-Jahre aber jedes Jahr um über 10%. Außerdem waren viele Kredite aufgenommen worden, was die Hauspreise weltweit auf ein schwindelerregendes Niveau getrieben hatte. Dagegen leidet die Weltwirtschaft heute noch immer unter der Pandemie, wenn auch nicht mehr so stark wie 2020 und 2021, und dem Energiepreisschock von 2022. Sie steht keineswegs gut da, was sich allmählich auch an den Märkten zeigt. Es gibt durchaus Argumente für schnelle Zinssenkungen, damit es nicht böse endet.
Gegen Zinssenkungen spricht natürlich die noch immer zu hohe Inflation. 2006 und 2007 hat die Fed auf das schwache Wachstum und die Finanzkrise schließlich rea¬giert. Die Inflation legte daraufhin 2008 wieder zu, um 2009 massiv zu fallen. Fine¬tuning fällt Notenbanken schwer, aber sie können Risiken steuern, und nach Einschätzung der Märkte ist die Geldpolitik zurzeit nicht optimal. Die Break-even-Inflation ist aber stabil. Wenn die Zinsen jetzt gesenkt würden, wäre das aktives Risikomanagement. Zinssenkungen allein würden die Inflation nicht wieder steigen lassen.
Der Zinsgipfel ist erreicht, aber die Verluste wachsen: Die Märkte sind heute schwächer, als man es zum Ende der Straffung erwartet hatte. Seit die Fed ihren Leitzins am 26. Juli auf 5,25% bis 5,50% angehoben hat, hat man mit internationalen Aktien etwa 6% und mit US-Staatsanleihen insgesamt 3,6% verloren, während sich Kurzläufer und High Yield seitwärts bewegten. Soweit ich weiß, liegen seit Ende Juli 2023 nur amerikanische Leveraged Loans, europäische High-Yield-Anleihen und britische inflationsindexierte Anleihen (die aber vor einem Jahr unter die Räder gekommen waren) im Plus. Dagegen hatte man 2006 nach der letzten Zinserhöhung mit manchen Assetklassen zunächst gut verdient.
Aller guten Dinge sind drei? Die Lage scheint heute schlechter als 2006 und 2007. Das Wachstum ist niedriger, und nach den Konsensprognosen ist in den großen Volkswirtschaften nächstes Jahr eine Rezession nicht auszuschließen. Aber wurde wenigstens die Geldpolitik ausreichend gestrafft, um die Inflation zum Zielwert zurückzuführen? Auf jeden Fall ändern sich die Markterwartungen für den Beginn der Zinssenkungen, und man rechnet auch mit höheren Durchschnittszinsen als 2010 bis 2021. Sowohl das schwächere Wachstum als auch die Leitzinserwartungen schaden den Anlageerträgen. Die Stimmung ist schlecht. Vielleicht verliert man mit Anleihen jetzt das dritte Jahr in Folge.
Zinsstrukturkurvennormalisierung ist schmerzhaft: 2006 und 2007 lagen die US-Zehnjahresrenditen in den ersten zwölf Monaten nach dem letzten Zinsschritt zwischen 4,5% und 5,25%. Sie waren damit etwas höher als heute, passten aber zu den damaligen nominalen Wachstumserwartungen. Insgesamt verdiente man mit Anleihen 5,4%, vor allem wegen des hohen laufenden Ertrags. Heute müsste sich der Markt schon etwas stabilisieren, um ähnliche Ergebnisse zu ermöglichen. Kurzfristig ist das Problem, dass die bislang stark inverse Zinsstrukturkurve durch steigende Langfristrenditen flacher wird, vor allem durch höhere Zehnjahresrenditen. Die Zweijahresrenditen legen aber ebenfalls zu; auch für mittlere Laufzeiten erleben wir eine neue Normalität. 2006 konnte man mit Anleihen aber sehr viel mehr verdienen, weil die Zinsstrukturkurve bei Weitem nicht so invers war wie heute.
Die Zeiten ändern sich: Ein Jahr nach der Zinserhöhung auf 5,25% und drei Jahre, nachdem die Fed 2004 mit Zinsanhebungen begonnen hatte, ließ die Risikobereitschaft im Sommer 2007 allmählich nach. Die Immobilienpreise fielen, und immer mehr Hypothekenkredite wurden nicht mehr bedient. US-Staatsanleihen und andere lang laufende Titel entwickelten sich ab Mitte 2007 gut. In den letzten drei Monaten, bevor die Fed im September 2007 die Zinsen schließlich senkte, gab es immer mehr Anzeichen für eine schwächere Konjunktur und Finanzprobleme. Mit US-Staatsanleihen verdiente man insgesamt 4,5%, und bei Laufzeiten über zehn Jahren waren es sogar 6,7%. High Yield verzeichnete unterdessen Verluste. Auch Aktien fielen. Hoch waren die Verluste vor allem am europäischen Aktienmarkt, weil nicht nur in den USA eine Rezession drohte, sondern die EZB außerdem an ihren hohen Zinsen festhielt. Wiederholt sich die Geschichte?
Neuauflage? Aus den Jahren 2006 und 2007 kann man einiges lernen. Die Wirtschaft reagiert erst spät auf eine Straffung der Geldpolitik, und die Reaktion ist nicht leicht zu prognostizieren. Und wenn die Geldpolitik irgendwann gelockert wird, geht es schnell. Noch nach der Offenmarktausschusssitzung im Juni 2007 wurde eine hartnäckige Inflation als das größte Risiko bezeichnet, obwohl es an den Problemen des Immobilienmarktes schon keinen Zweifel mehr gab. Eine weitere Lehre ist, dass Marktreaktionen oft heftig sein können. In den zwölf Monaten nach der Zinssenkung im September 2007 verloren US-Aktien 18% und in den sechs Monaten danach weitere 33%. Die US-Zehnjahresrendite fiel von ihrem Höchststand von 5,3% im Juni 2007 auf 2,1% im Mai 2009. Danach ging sie noch weitere zehn Jahre kontinuierlich zurück, bis auf ein Tief von 0,5% im Jahr 2020.
Geldpolitische Wende, um die Erträge zu stabilisieren? Mehrere Faktoren könnten die Risikobereitschaft stark dämpfen und Anleihen kräftig steigen lassen. Ein Government Shutdown in den USA hätte Folgen für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sowie das Geschäfts- und Konsumklima. Die Konjunktur könnte dann immer schwächer werden. Die derzeitige Straffung der Finanzbedingungen – höhere Anleihenrenditen, ein stärkerer Dollar und fallende Aktienkurse – könnte bewirken, dass die höheren Zinsen weniger stabile Sektoren stärker treffen. Am Arbeitsmarkt gibt es noch keine Schwächezeichen, zumindest nicht nach den offiziellen Zahlen. Aber auch im September 2007, als die Fed die Zinsen senkte, lag die Arbeitslosenquote nur knapp über ihrem Tiefststand, und die Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft war weiter gewachsen – auch wenn sie späteren Revisionen zufolge im Juli und August 2007 bereits rückläufig war.
Wenn ich an den Tafelberg zurückdenke, fällt es mir schwer zu glauben, dass der aktuelle Konjunkturzyklus nicht ebenfalls in einem drastischen Abschwung und vielleicht einer Rezession endet. Das wäre gut für Aktiva, die als sicher gelten, selbst wenn das US-Länderrating noch einmal herabgestuft würde. Mit High Yield und Aktien könnte man dann aber viel verlieren. Außerdem würde die Arbeitslosigkeit steigen, und die realen Haushaltseinkommen würden weiter fallen. Um das zu verhindern, sollte die Fed vielleicht jetzt die Zinsen senken. Die EZB sollte es ihr gleichtun, zumal das Wachstum im Euroraum ohnehin stockt – und die Bank of Eng¬land ebenfalls, weil eine Rezession in den USA und dem Euroraum der britischen Wirtschaft schadet. Die Marktentwicklung spricht dafür, dass es nicht zum Besten steht und die Geldpolitik die Wende einläuten muss.
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Foto: Chris Iggo © AXA Investment Managers
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