Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone wird immer wahrscheinlicher. Ein Aus für Griechenland („Grexit“) würde gewaltige Kreise ziehen. Durch politischen Kompromiss dürfte ein „Grexit“ vorerst zu verhindern sein.
Die jüngsten Ereignisse in Spanien, Frankreich und Griechenland haben für erneute Unruhe an den Finanzmärkten gesorgt. Für uns ein Anlass, die verschiedenen Szenarien für die Euro-Zone und das mögliche Krisenfinale genauer unter die Lupe zu nehmen.
Der weitere Krisenverlauf lässt sich nur schwerlich voraussagen. Langfristig sind wir zwar optimistisch, doch der Weg aus der Krise ist lang und mühsam. Dabei gilt es, Irrwege wie „knappes Überleben“ und „teilweiser Zusammenbruch des Euro“ zu vermeiden. Insofern raten wir Investoren, nicht zu sehr auf das Krisenfinale zu fokussieren. Sinnvoller ist es, die Entwicklung im Auge zu behalten und sich flexibel auf neue Realitäten einzustellen.
Die Strategy and Tactical Asset Allocation Group (Mary Pieterse-Bloem, Willem Verhagen und Valentijn van Nieuwenhuijzen) sowie das Core Fixed Income Team (Sylvain de Ruijter und Thede Rüst) haben freundlicherweise Beiträge zu dieser Publikation beigesteuert.
Ausstieg Griechenlands immer wahrscheinlicher
Griechenland stimmt über EWU-Mitgliedschaft ab
Der mögliche Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ist greifbar nahe. Die am 17. Juni anstehenden Neuwahlen werden aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Abstimmung über den Verbleib in der EWU. Die entscheidende Frage ist jedoch nicht, ob Griechenland die Währungsunion verlassen wird, sondern was ein möglicher Austritt der Hellenen mittel- und langfristig für die Euro-Zone bedeutet.
Für alle politischen Parteien in Griechenland steht das an das Rettungsprogramm gekoppelte Memorandum of Understanding (MoU) – in unterschiedlichem Maße – zur Disposition. Die traditionellen Parteien in der Mitte des Spektrums würden moderatere Sparmaßnahmen vorziehen, während die Parteien der Extreme auf das MoU verzichten wollen und bereit sind, den Zahlungsausfall des privaten und öffentlichen Sektors zu riskieren. Setzt sich diese Haltung durch, wäre ein „Grexit“ nahezu unvermeidbar.
Hinwendung zu maßvollerem Ansatz
Allerhand hängt von der Glaubwürdigkeit der politischen Akteure ab, die in Griechenland das Ruder übernehmen und in dieser Eigenschaft Verhandlungspartner der Troika sein werden. Ein Sieg der Pro-Euro-Parteien könnte bedeuten, dass die Hellenen in der EWU bleiben, falls die Troika bereit ist, sich auf einen moderateren Sparplan einzulassen, vielleicht sogar so etwas wie einen „Marshall-Plan“ für Griechenland. Insofern ist zu begrüßen, dass die europäischen Kernländer sich verstärkt um politisches Augenmaß bemühen. Immer mehr politische Entscheidungsträger (IWF, Europäische Kommission und sogar die EZB) betonen mittlerweile, dass ein Sparkurs allein nicht ausreicht, um die Krise zu bewältigen. Dazu muss ein Wachstumspakt her. Insofern ist die Wahl von François Hollande zum Präsidenten Frankreichs aus unserer Sicht durchaus positiv. Doch ob diese Neuorientierung noch rechtzeitig stattfindet und Griechenland motivieren kann, lässt sich nicht vorhersagen.
Auch EZB-Präsident Draghi hat auf die Notwendigkeit eines Wachstumspakts zur Ergänzung des Fiskalpakts hingewiesen. Doch was unter Wachstum genau zu verstehen ist, darüber sind sich die Politiker durchaus nicht einig. Während Draghi vom Bedarf an Strukturreformen spricht, denkt Hollande wohl eher an Maßnahmen, um die Gesamtnachfrage in der Region anzukurbeln. Zu diesem Zweck schlägt er vor, dass die EIB und EU-Strukturfonds zur Förderung der Investitionsausgaben eingesetzt werden. Zudem wünscht er sich eine aktivere Rolle für die EZB, die seiner Meinung nach neben Preisstabilität auch Wachstum verfolgen sollte. Inwieweit das möglich ist, bleibt abzuwarten, da Kanzlerin Merkel einen solchen Schritt ablehnt. Aber selbst in Deutschland rumort es: Vor allem die SPD fordert inzwischen ebenfalls einen Investitionspakt als flankierende Maßnahme zum Fiskalpakt.
Griechisches Bankensystem in Gefahr
Bei einem Austritt Griechenlands würden EU und IWF wohl ihre finanzielle Unterstützung einstellen. Dass anstatt dessen privates Kapital ins Land fließt, ist unwahrscheinlich. Es würde im Gegenteil zu einem regelrechten finanziellen Exodus aus dem griechischen Bankensystem kommen. Um das finanzielle Ausbluten des Landes zu verhindern, würde man wahrscheinlich Kapitalkontrollen einführen und Barabhebungen begrenzen. Eine völlige Unterbindung der Kapitalflucht wäre damit jedoch nicht zu erreichen. In der Folge würde das griechische Bankensystem auf einen Zusammenbruch zusteuern, vor dem es nur Rekapitalisierung sowie Zugang zu unbegrenzter Liquidität bewahren könnten. Die Rekapitalisierung müsste die griechische Regierung übernehmen. Insofern erübrigen sich ihre Hinweise auf ein Primärdefizit von nahezu null, das Refinanzierung angeblich überflüssig macht. Alternativ könnten EU und IWF sich darauf beschränken, den Schuldendienst für bestehende Verbindlichkeiten zu übernehmen, Griechenland aber nicht weiter finanziell unter die Arme zu greifen. Motiv für eine solche Vorgehensweise wäre der Wille, Dominoeffekte zu begrenzen. Hinzu kommt, dass Griechenlands Leistungsbilanzdefizit immer noch enorm ist und der Privatsektor daher weiterhin stark von der Außenfinanzierung abhängt.
Wiedereinführung der Drachme?
Dann bliebe dem Land keine andere Möglichkeit, als die Drachme wiedereinzuführen. Nur so könnte Liquidität für das Bankensystem geschaffen und die Staatsverschuldung monetarisiert werden. Angesichts der geringen Glaubwürdigkeit käme es bald zu einem Anstieg der Inflation, der die Wettbewerbsvorteile infolge der entwerteten Währung weitgehend zunichte machen würde. Einige Kommentatoren diskutieren bereits die Möglichkeit eines Currency Boards. Das kann zwar nicht ausgeschlossen werden, würde aber den Nutzen der genannten Liquiditäts- und Refinanzierungsmaßnahmen aushebeln. Insgesamt würden sich Finanzlage und Kreditversorgung Griechenlands noch erheblich verschärfen. Die Zuversicht aller Akteure und Sektoren wäre massiv angeschlagen, die Wirtschaftsleistung im freien Fall. Solch eine schwere Wirtschaftsdepression könnte das Land sozial und politisch völlig zerrütten.
Dominoeffekt unvermeidbar
Die Konsequenzen eines Ausstiegs Griechenlands würden an der Euro-Peripherie weite Kreise ziehen, sowohl an den Staatsanleihemärkten als auch im Finanzsystem. Die Realwirtschaft und das Vertrauen von Verbrauchern und Unternehmen würden in vielen Ländern stark erschüttert. Zweifelsohne würden auch soziale Unruhen zunehmen. Insofern gehen wir davon aus, dass sowohl ESM/IWF als auch EZB mit aller Macht gegensteuern werden, um einen solchen Dominoeffekt zu unterbinden.
Bestenfalls würde dies zur Schaffung eines europaweiten Bankensystems mit einheitlicher Aufsicht führen, das den Rahmen für die wirksame Rekapitalisierung von Banken bietet. Wir haben bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die Währungsunion zwar die finanzielle Integration vorangetrieben hat, der aufsichtsrechtliche Rahmen damit jedoch nicht Schritt halten konnte. Dies ist eine der Schwachstellen der EWU.
Weiter durchwurschteln
Die beschriebenen möglichen Verläufe – einschließlich Grexit – passen zum anhaltenden „Durchwurschtel“-Szenario. Bei diesem Szenario ergreifen die Entscheidungsträger vor dem Hintergrund politischer Zwänge nur die absolut notwendigen Mindestmaßnahmen, um die weitere europäische Integration voranzutreiben. Nach unserer Einschätzung wird ein Ausstieg Griechenlands nicht das Ende der Euro-Zone bedeuten. Die anderen Peripheriestaaten gelten im Hinblick auf die Umsetzung haushaltspolitischer und struktureller Reformziele als weitaus zuverlässiger. Umgekehrt wird ein Ausstieg Griechenlands aber auch nicht die erhoffte rasche und allumfassende Lösung bringen. Paradoxerweise könnte ein Grexit diesen Prozess jedoch beschleunigen.
Wie stellt sich unser Szenario für das Krisenfinale dar?
Um eine Lösung für die Euro-Zone zu bieten, muss das Krisen-finale nach unserem Dafürhalten vier, wenn nicht fünf, Kriterien erfüllen:
1. Fiskalische Integration
Über den Fiskalpakt, also die Stärkung der haushaltspolitischen Regelungen und ihre Umsetzung, bemüht sich Europa derzeit um zunehmende Integration. Das kann jedoch nur funktionieren, wenn der Ausgangspunkt ein niedriger Schuldenstand in der gesamten Euro-Zone ist. Das trägt der Vorstellung Rechnung, dass Staatsschulden in einer Währungsunion mit einem erheblichen Kreditrisiko verbunden sind, weil es keinen Lender of Last Resort („LOLR“) gibt. Mit anderen Worten: Da EWU-Staaten letztendlich Anleihen in einer Fremdwährung ausgeben, können sich Liquiditätsprobleme zu einem massiven Solvenzproblem auswachsen. Deshalb wird der Markt nur zur Stützung geringer Schuldenstände bereit sein. Angesichts der aktuell hohen Verschuldung in Europa würde ein Fiskalpakt kaum ein stabiles Gleichgewicht erreichen können. Die negative Entwicklung in den EWU-Randstaaten wird weiter von einer gewissen Eigendynamik geprägt sein. Erfolgversprechender wäre die Schaffung von Eurobonds, für die alle Länder einzeln bzw. vorzugsweise gemeinsam haftbar sind. Dies ist jedoch nur darstellbar, wenn ein tragfähiger fiskalpolitischer Rahmen besteht, der „Trittbrettfahrer-Strategien“ bei Staatsschuldnern unterbindet. Politisch bedeuten Eurobonds letztendlich, dass ein impliziter Fiskaltransfer vom Norden zum Süden stattfindet – bei gleichzeitiger Reduzierung der nationalen Souveränität.
2. Europaweites Bankensystem
Ein solches Bankensystem wäre im Hinblick auf Bankenaufsicht, Einlagensicherung usw. dann wirklich paneuropäisch tätig. Zunehmend wird die Forderung nach einer europäischen Version des amerikanischen Troubled Asset Re-lief Program („TARP“) laut. Die European Financial Stability Facility („EFSF“) bzw. der European Stability Mechanism („ESM“) sind bereits Schritte in diese Richtung, allerdings ohne die Schlagkraft des US-amerikanischen TARP. Dazu müsste die Leverage des ESM deutlich erhöht werden. Eine Banklizenz für den ESM sollte den Anfang machen.
3. Realwirtschaftliche Integration
Europa muss seine volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte korrigieren, die andernfalls weiterhin für Instabilität sorgen. Wir haben bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass dies in einem Rahmen stattfinden sollte, der innereuropäische Leistungsbilanzdefizite und ihre Ursachen systematisch überwacht und korrigiert. Die Korrekturmechanismen müssen dabei dergestalt sein, dass Symmetrie zwischen Überschuss- und Defizitländern hergestellt wird. Das ist (in gewissem Umfang) durch überzeugende Strukturreformpläne zu erreichen. Und tatsächlich scheint dieser Ansatz bereits Formen anzunehmen. In jedem Fall werden positive Effekte sich erst langfristig bemerkbar machen.
4. Flexiblere EZB-Politik
Die Einführung von Eurobonds wäre auch insofern positiv, als dass es der EZB die Übernahme der Funktion eines LOLR erleichtern würde. Dazu sind Eurobonds zwar keine notwendige Voraussetzung, aber die EZB hat bislang gezögert, in der gegenwärtigen Situation in diese Rolle zu schlüpfen, um Moral-Hazard-Effekte aufseiten von Staatsschuldnern zu vermeiden. Die Funktion als echter LOLR könnte auch Folge einer Neuausrichtung des EZB-Mandats sein, weg vom engen Fokus auf Preisstabilität hin zu einer stärkeren Orientierung an finanzieller Stabilität. Daneben könnte die EZB auch ihr Inflationsziel anheben, um Anpassungen bei den relativen Teuerungsraten der einzelnen Länder zu erleichtern. Ferner muss auch die makroprudenzielle Überwachung des Finanzsektors gestärkt werden. Auch diese Rolle könnte die EZB übernehmen; ebenso gut könnte sie aber auch der bereits unter Ziffer 2 skizzierten paneuropäischen Bankenaufsicht zufallen.
5. Europaweiter Investitions- bzw. Wachstumspakt
Die Kriterien 1 bis 4 sind für ein stabiles Krisenfinale unerlässlich. Ein europaweiter Investitions- bzw. Wachstumspakt wäre dagegen eine optionale flankierende Maßnahme, um dieses Ziel zügiger und reibungsloser umzusetzen. Davon würden nicht nur alle Länder gleichermaßen profitieren, es würde auch der Negativspirale aus angeschlagenem finanziellem Vertrauen und tatsächlicher realwirtschaftlicher Leistung ein Ende setzen. Angesichts der zunehmenden politischen Polarisierung in vielen Euro-Ländern könnte die Wachstumsförderung durchaus eine weitaus wichtigere Maßnahme sein, um sich der öffentlichen Unterstützung zu versichern, als manche Experten meinen.
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Veranstaltungshinweis:
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am 19.06. in München und am 19.09. in Frankfurt
www.bond-conference.com
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