2022 scheint ein Jahr zu werden, in dem sich der Wirtschaftszyklus fortsetzt. Das globale Wachstum wird sich nach der Beschleunigung im Jahr 2021 verlangsamen, was dazu beitragen sollte, dass der Inflationsdruck nachlässt. Die Verringerung der geldpolitischen Anreize durch die Zentralbanken dürfte vor dem Hintergrund eines nachhaltigen Wachstums und einer sinkenden Inflation von den Märkten gut verkraftet werden, wobei die Situation bei Zentralbanken, die mit anhaltender Inflation zu kämpfen haben, anders aussehen könnte.
In unserem Basisszenario dürften die Märkte die prozyklischen Trends bestätigen. Die Zinssätze für US-amerikanische und deutsche Staatsanleihen dürften durch den Wegfall der geldpolitischen Anreize nach oben getrieben werden. Die Aussichten auf absolute Renditen für Anleihen mit Spread-Aufschlägen scheinen bescheiden und auf Carry-Anleihen beschränkt zu sein. Für Aktien werden positive Renditen erwartet, die jedoch niedriger ausfallen werden als 2021. Grund hierfür ist, dass das Gewinnwachstum nach dem Aufflackern des letzten Jahres (+50 Prozent für den S&P 500, +70 Prozent für den EURO STOXX) wieder zu den historischen Durchschnittswerten (+8 % / +10 %) zurückfinden wird.
Der wichtigste Risikofaktor bleibt die Inflationsentwicklung. Aber auch die Entwicklung der Pandemie könnte das Tempo des Wirtschaftswachstums beeinflussen.
In China stehen wirtschaftspolitische Entscheidungen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Im Januar und April werden in Italien bzw. Frankreich die Staatspräsidenten gewählt. Im November wird der US-Kongress durch die „Midterm Elections“ neu besetzt.
Das Eurizon Investment Szenario 2022 im Detail:
Ein weiterer Schritt in Richtung Normalität
Das Ziel für 2021 war es, das V für Virus durch das V für Vakzin zu ersetzen, was auch erreicht wurde. Das Virus grassiert zwar immer noch, aber wir haben zu einem fast normalen Lebensstil zurückgefunden. Dies hat zu einer außerordentlichen Wiederbeschleunigung der Wirtschaft geführt.
Das Ziel für 2022 wird sein, einen weiteren Schritt in Richtung Normalität zu machen.
Mit Blick auf die Pandemie bedeutet dies, dass es gilt, die Omikron-Welle und alle folgenden Wellen zu überwinden, ohne dass es zu besonders tiefgreifenden und restriktiven Maßnahmen kommen muss. Die Auswirkungen des Virus auf die Marktvolatilität werden wie bereits dieses Jahr gering sein. Das Jahr 2022 wird sich somit erheblich vom Jahr 2020 unterscheiden.
Für die Wirtschaft bedeutet die Fortsetzung der Normalisierung eine Verlangsamung des Wachstums nach dem starken positiven Schock, der mit der Wiedereröffnung der Märkte einherging. Im Basisszenario wird sich das globale Wachstum gegenüber 2021 abschwächen, aber immer noch über den Durchschnittswerten der letzten Zyklen liegen. Mit einer vollständigen Rückkehr zur Normalität ist eher im Jahr 2023 zu rechnen.
Gemäß unserem Basisszenario dürfte das nachlassende Wachstum den Druck auf das Produktionssystem und die Lieferketten verringern, was den Inflationsdruck allmählich verringern dürfte. Dies ist das wichtigste Ziel, das 2022 erreicht werden muss, und es gibt guten Grund zu der Annahme, dass dies auch gelingen wird. So ist beispielsweise zu erkennen, dass die Preise für Energierohstoffe seit Oktober nicht mehr gestiegen sind. Einige Monate lang werden wir noch die Nebenwirkungen der vergangenen Erhöhungen spüren, aber dann dürfte sich der Preisanstieg abschwächen.
Das Hauptrisiko in diesem Szenario besteht jedoch darin, dass die Inflation trotz des sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums hartnäckiger bleibt als erwartet.
Wie viel Volatilität diese Entwicklung dann erzeugen könnte, hängt vor allem von der Haltung der Zentralbanken ab. Es ist davon auszugehen, dass die Fed und die EZB angesichts der nachlassenden Wirtschaftskraft mit der Rücknahme der Konjunkturmaßnahmen zurückhaltend sein werden. Sollten sich die Zentralbanken jedoch unabhängig von der Konjunktur auf die Inflation konzentrieren, würde die Unsicherheit über die Dauer des aktuellen Konjunkturzyklus und damit die Volatilität an den Märkten zunehmen.
Eine Rückkehr zur Normalität im Jahr 2022 wird auch bedeuten, dass die Zentralbanken versuchen werden, die Konjunkturmaßnahmen schrittweise auslaufen zu lassen.
In der Tat hat die Fed bereits damit begonnen, ihre Anleihekäufe seit November zurückzufahren. Auf der FOMC-Sitzung im Dezember deutete sie an, diese Entwicklung zu beschleunigen, die Wertpapierkäufe bis März 2022 zu beenden und in der zweiten Jahreshälfte mit der Anhebung der Leitzinsen zu beginnen.
Für die EZB kann von einer ähnlichen Agenda ausgegangen werden. Allerdings verzögern sich bei ihr die Planungen um einige Monate. Das QE wird vermutlich das ganze kommende Jahr hindurch fortgesetzt. Die Erhöhung der Zinsen dürfte 2023 anlaufen.
Die Rücknahme der geldpolitischen Anreize wird von der Wirtschaft und den Märkten umso eher toleriert werden, als sie von einer Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität mit einem Nachlassen des Inflationsdrucks getragen wird. Das Risiko einer größeren Volatilität besteht hingegen in den Maßnahmen der Zentralbanken, die in erster Linie auf die Eindämmung der Inflation abzielen.
Zu den rein politischen Themen des Jahres 2022 gehören die Präsidentschaftswahlen in Italien und Frankreich.
Die Wahl des italienischen Staatspräsidenten wird noch Ende Januar stattfinden. Danach wird der Schwerpunkt auf der Stabilität der Regierung liegen, die die Umsetzung des nationalen Reformprogramms in einem Wahljahr fortsetzen muss. Das normale Ende der Legislaturperiode ist März 2023. Die politische Ungewissheit in Verbindung mit der Verringerung der Wertpapierkäufe durch die EZB wird bei der Bewertung der Entwicklung des BTP/Bundesanleihe-Spreads eine Rolle spielen.
In Frankreich findet die Präsidentschaftswahl im April statt. Das französische Wahlsystem mit zwei Wahlgängen macht es unwahrscheinlich, dass ein Präsident mit extremistischen Ansichten gewählt wird. Die Auswirkungen der Wahl auf den Markt dürften daher begrenzt sein. Der Ausgang der Wahl ist indes wichtig für die Gestaltung der künftigen Entscheidungsstruktur in Europa, auch mit Blick auf die neue Zusammensetzung der deutschen Regierung.
Apropos Wahlen: Gegen Ende des Jahres, im November, stehen in den USA die Zwischenwahlen an, bei denen das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats gewählt werden. Dies wird der erste wirkliche Test für die US-Regierung sein, die derzeit über eine rein demokratische Mehrheit verfügt.
Große Aufmerksamkeit wird nicht zuletzt auch China gelten.
Das BIP-Wachstum in China ist unter das mittelfristige Ziel der Regierung von jährlich mindestens 6 Prozent gesunken. Aber die Wirtschaftsbehörden zögern, anders als in der Vergangenheit, mit einer sichtbaren Lockerung der Kreditbedingungen, die sie Anfang 2021 kurzerhand verschärft haben. Um eine übermäßige Verlangsamung der Wirtschaft zu vermeiden, bleibt eine Lockerung der restriktiven Maßnahmen jedoch die wahrscheinlichste Option für die ersten Monate des neuen Jahres.
Ob die Xi-Regierung die im letzten Sommer begonnene marktfeindliche Regulierung der Wirtschaft fortsetzen wird, wird für die Bewertung Chinas durch die Investoren von großer Bedeutung sein. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass China sich weiter isolieren will, da diese Strategie nach hinten losgehen könnte.
Im Basisszenario könnten eine weniger feindselige Haltung gegenüber der Marktwirtschaft und einige Konjunkturmaßnahmen den Trend bei der Entwicklung des chinesischen Aktienmarktes umkehren, die in den letzten zwei Jahren noch schlechter war als die der globalen Schwellenmärkte.
Im Basisszenario dürften die Finanzmärkte die prozyklischen Trends bestätigen.
Das wichtigste Leitthema für die Märkte wird sein, wie gut sich die Kombination aus Wachstum und Inflation mit den Entscheidungen der Zentralbanken verträgt. Wenn die Fed mit der Straffung der Geldpolitik beginnt, steigen in der Regel die kurzfristigen (2-jährigen) Zinssätze, da sie einen Anstieg der Fed Funds erwarten. Das lange Ende der Kurve hingegen tendiert nach unten, da wir abwarten, wie sich der Konjunkturzyklus entwickelt. Dies war 2014/2015 der Fall. Damals wurde eine lange Phase der Vorbereitung auf eine Zinsstraffung eingeleitet. Die jetzige Entwicklung vollzieht sich bereits seit einigen Monaten in Erwartung einer Zinserhöhung der Fed in der zweiten Jahreshälfte 2022. Gewinnen die Anleger nach den ersten Zinserhöhungen Vertrauen in die Stärke der Wirtschaft, ziehen die längerfristigen Zinsen in der Regel wieder an.
Je hartnäckiger die Inflation ist, desto stärker wird der Anstieg der Zinssätze bei sich abflachenden Kurven erfolgen. Umgekehrt können die Laufzeitkurven der Zinssätze wieder steigen, wenn die Rücknahme der Anreize mit einem Rückgang der Inflation einhergeht.
In den von Eurizon Capital verwalteten Portfolios ist die Duration von US- und EUR-Staatsanleihen untergewichtet.
In einem Umfeld steigender Leitzinsen scheinen die Aussichten auf absolute Renditen für Spread-Anleihen bescheiden und auf Carry-Anleihen beschränkt.
Bei den Staatsanleihen der Euro-Peripherie haben sich die Spreads seit Oktober letzten Jahres leicht ausgeweitet, da die Entscheidungen der EZB über ihren Ankaufplan noch ausstehen. Die EZB bestätigte auf ihrer Dezembersitzung, dass sie ihre Käufe im Jahr 2022 reduzieren wird, allerdings schrittweise und langsamer als die Fed. Diese Haltung dürfte eine weitere Ausdehnung der Spreads verhindern. In Italien haben sich die Spreads ausgeweitet (von 100 BP im Oktober auf aktuell 130), was auch auf die Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Wahl des Staatspräsidenten und der Stabilität der Regierung zurückzuführen ist. Eine Unsicherheit, die zumindest in den ersten Monaten des Jahres 2022 anhalten dürfte.
Was andere Spread-Anleihen angeht, so scheinen Hochzinsanleihen zumindest für den ersten Teil des Jahres 2022 attraktiver zu sein als Schwellenländeranleihen, deren Spreads mehr Klarheit über die Entwicklung der Pandemie und die Kombination aus Wachstum und Inflation benötigen, um sich zu verengen. Bei den Schwellenländern sind chinesische Staatsanleihen weiterhin attraktiv.
Die Aktienmärkte blicken auf starke 20 Monate zurück.
Seit den Tiefstständen im März 2020 ist der US-Aktienmarkt stetig gestiegen und hat nur wenige Volatilitätsphasen zu verzeichnen. 2020 wurde die US-Rallye von den Schwellenländern begleitet, die aber 2021 zum Stillstand kamen und den Aktienmärkten der Eurozone das Feld überließen. Nach einem schwächeren Jahr 2020 hielt der EURO STOXX in diesem Jahr mit dem S&P 500 Schritt.
Die Aussichten für 2022 sind nach wie vor günstig für Aktien, aber die erwarteten Renditen sind zwangsläufig niedriger als 2021. Das Gewinnwachstum wird sich auf ein historisches Durchschnittsniveau abschwächen. Die allgemeinen Prognosen gehen von einem Gewinnwachstum von 8 bis 10 Prozent im Jahresvergleich für die Industrieländer aus. Der S&P 500 konnte im Jahr 2021 noch um 50 Prozent und der EURO STOXX um 70 Prozent zulegen.
In den Schwellenländern ist das erwartete Gewinnwachstum im Jahr 2022 geringer als in den Industrieländern. Die Schwellenländer, allen voran jene Asiens und Lateinamerikas, bekommen die lange Pandemiewelle stärker zu spüren als die entwickelten Volkswirtschaften. Die Gründe hierfür sind, dass der Handel noch nicht normal funktioniert sowie die Auswirkungen auf die Inflation, auf die die Zentralbanken bereits mit einer restriktiven Geldpolitik reagiert haben.
Mit Blick auf die Bewertungen haben sich die Übertreibungen, die in den ersten Monaten des Jahres 2021 zu beobachten waren, zum Teil gelegt. Die Multiplikatoren (Kurs-Gewinn-Verhältnisse) sind gesunken, weil die Preise weniger stark gestiegen sind als die Gewinne. Infolgedessen hat sich die ohnehin schon hohe Risikoprämie für Aktien weiter ausgeweitet, da die Unternehmensgewinne gestiegen und die Anleihesätze weitgehend unverändert geblieben sind.
Zum Rückgang der Bewertungsexzesse kommt es vor allem in den Schwellenländern und im EURO STOXX, weniger jedoch am US-Aktienmarkt, wo die am schnellsten wachsenden Sektoren, wie etwa der Technologiesektor, stabile Multiplikatoren aufweisen. Trotzdem bleibt der US-Aktienmarkt in Bezug auf das Risiko-Ertrags-Profil am attraktivsten. Aufgrund seiner Sektorenzusammensetzung ist er im Vergleich zu anderen defensiv, wobei Wachstumssektoren (Technologie) im Falle einer nur teilweisen makroökonomischen Erholung gut abschneiden. Er kann aber auch von einer möglichen Rotation in zyklische Sektoren im Falle einer stabileren makroökonomischen Erholung profitieren.
Unter den anderen Märkten scheinen die Eurozone und Japan zumindest in den ersten Monaten des neuen Jahres attraktiver zu sein als die Schwellenländer, die wahrscheinlich deutlichere Anzeichen für die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Erholung und einen Rückgang des Inflationsdrucks benötigen, um ihre Underperformance zu überwinden.
Der Dollar kommt aus einem Jahr der Erholung 2021.
Gegenüber allen Währungen (Dollar-Index) befindet sich der Dollar auf halbem Weg zwischen dem Niveau von vor der Coronakrise und den Ende 2020 erreichten Tiefstständen. Gegenüber dem Euro hat sich der Wechselkurs in diesem Jahr von 1,23 auf 1,13 bewegt— vor der Coronakrise lag er bei 1,08.
In den ersten Monaten des Jahres 2022 könnte sich der Dollar weiter erholen, unterstützt durch eine Verringerung der geldpolitischen Stimuli, die bei der Fed voraussichtlich schneller erfolgen wird als bei anderen Zentralbanken. Wir halten daher an einer günstigen Positionierung für den Dollar fest, der auch als defensive Währung im Falle von Phasen der Marktvolatilität fungieren könnte.
Im kommenden Jahr, das voraussichtlich günstig für Risikoanlagen sein wird, in dem aber mit einer höheren Volatilität als 2021 zu rechnen ist, wollen wir unser Hedging mit Long-Positionen in Yen beginnen.
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Foto: © pixabay
Eurizon Investmentausblick 2022: Inflationsdruck dürfte nachlassen, positive Erwartungen für Aktien, China bleibt im Fokus
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