Fraser Lundie, Head of Fixed Income - Public Markets: Aussagen über die Inflation sind problematisch aufgrund der kurzfristigen Störeinflüsse, die sich zum Großteil auf Vergangenes beziehen und es Anlegern wie auch Zentralbankern schwer machen, eine langfristige Position zu beziehen. Doch Terminpreiskurven sind aufschlussreich und zeigen, dass der Markt das Risiko einer länger anhaltenden und höheren Inflation eingepreist hat. Die Aussicht auf einen unerwartet deutlichen und schnellen Rückgang der Inflation ist jedoch noch nicht voll eingepreist.
Derzeit wird mit einer Stabilisierung des Preisanstiegs ab dem ersten Quartal 2023 gerechnet, wobei die Inflation in den meisten Industrieländern den Erwartungen zufolge weiterhin über den Zielvorgaben der Zentralbanken liegen würde. Diese Prognose wird von mehreren Faktoren gestützt: Erstens von der größeren Preissetzungsmacht der Unternehmen, da die Verbraucher inflationsbedingte Preissteigerungen allmählich akzeptieren, und zweitens von der Deglobalisierung – beispielsweise durch Verlagerung von Lieferketten ins Inland – und den Arbeitskräften, die sich bei Lohnforderungen an den Reallöhnen orientieren. Möglicherweise tragen auch die hohen öffentlichen Ausgaben zu der hartnäckigen Inflation bei. Noch langfristiger gedacht wirkt auch die Nachfrage nach Investitionen in die Energiewende inflationär – ebenso wie ausbleibende Investitionen in emissionsintensive Formen der Energieerzeugung, was wiederum Auswirkungen auf die Versorgung haben wird.
Es spricht also viel dafür, dass die hohe Inflation länger anhält, wir müssen jedoch auch alternative Szenarien in Betracht ziehen, die kurzfristig wirken können. Zum einen werden Prognosen durch die Verflechtung von Staatsausgaben, Energiepreisen und Geldpolitik massiv erschwert. Aus der Vergangenheit lassen sich kaum Rückschlüsse ziehen, und auch weitere Unbekannte müssen berücksichtigt werden. Dazu zählt die Finanzstabilität. Je nach der weiteren Entwicklung könnte es zu einer Destabilisierung der Märkte und einem Rückgang der Vermögenspreise kommen, was kurzfristig desinflationär wirken würde.
Das Potenzial einer Desinflation ist jedoch auch in mittel- und langfristigen Szenarien präsent. Was ist mit einer langfristigen Stagnation? Wurde dieses Szenario zu früh verworfen? Selbstverständlich ist eine Veränderung des seit mehr als zehn Jahren bestehenden Umfeldes wahrscheinlich, doch sollten wir deshalb die Auswirkungen einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage außer Acht lassen? Oder die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf das gesamtwirtschaftliche Angebot? Diese Megatrends dürfen bei einem langfristigen Investitionsansatz nicht ignoriert werden.
Geir Lode, Head of Global Equities: Im Zeitraum 2021–2022 verzeichneten viele Länder die höchsten Inflationsraten seit Jahrzehnten. Eine hohe Inflation gilt als schädlich für die langfristigen Wachstumsaussichten einer Volkswirtschaft. Die hohe Inflation in jüngster Zeit wird auf verschiedene Faktoren zurückgeführt, darunter die fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen während der Pandemiejahre 2020 und 2021, Lieferengpässe aufgrund von erhöhter Verbrauchernachfrage und pandemiebedingten Angebotsschocks, einen angespannten Arbeitsmarkt mit sich ändernden Präferenzen der Arbeitnehmer sowie die russische Invasion in der Ukraine und ihre Auswirkungen auf Energie- und Lebensmittelmärkte.
Die geldpolitische Debatte über die Frage, ob der Inflationsdruck vorübergehend oder dauerhaft ist, bezieht sich sowohl auf die voraussichtliche Entwicklung dieser zugrunde liegenden Faktoren als auch auf die Frage, ob sich bei Arbeitnehmern und Unternehmen die Erwartung einer höheren künftigen Inflation verfestigt hat. Solange die Inflationsraten weiter steigen oder nicht ausreichend schnell sinken, werden die Zentralbanken die Zinsen weiter erhöhen, selbst wenn dies zu einer Rezession führen sollte. Im Zeitraum unmittelbar nach der Pandemie zeichnet sich eine Entspannung der Versorgungslage bei Gütern ab, während die Nachfrage nach Dienstleistungen weiter steigt. Zwar gibt es Anzeichen für eine Abschwächung der künftigen Nachfrage, eine baldige Rückkehr zu den Verhältnissen vor der Pandemie ist jedoch unwahrscheinlich. Die Volkswirtschaften werden sich erst an die höhere Nachfrage nach Dienstleistungen und die gestiegenen Arbeitskosten anpassen müssen, bevor die Inflation zurückgeht.
In jüngster Zeit wurde der Tatsache, dass sich Aktien bei hoher Inflation kurzfristig rückläufig entwickeln, viel Beachtung geschenkt. Langfristig haben sich Aktien jedoch als Inflationsschutz erwiesen. Häufig konzentrieren sich Anleger bei der Bewertung von Cashflows auf nominale Renditen anstatt auf reale Renditen. Value-Aktien mit hohen laufenden statt zukünftigen Renditen entwickeln sich daher bei hoher Inflation in der Regel besser. Und tatsächlich haben sich Value-Aktien 2022 weitaus besser entwickelt als Wachstumsaktien.
Trotz der Anzeichen für einen möglichen Höchststand der Inflation im dritten Quartal liegt der Verbraucherpreisindex in den meisten Ländern noch immer über dem von den Zentralbanken als akzeptabel empfundenen Niveau. Die Zinssätze werden ihren Höchststand in diesem Jahr auf einem höheren Niveau erreichen, als von den Anlegern bisher erwartet, und dann sinken. In der Vergangenheit haben sich die Aktienkurse 12–18 Monate vor den Zinssätzen angepasst. Anleger sollten daher allmählich in Wachstumsaktien umschichten. Aktien mit einem hohen erwarteten Gewinnwachstum und nachhaltigen emissionsarmen Geschäftsmodellen haben sich 2022 unterdurchschnittlich entwickelt. Für langfristig denkende Anleger ergibt sich hier eine hervorragende Gelegenheit, diese Aktien zu sehr attraktiven Preisen zu kaufen.
Kunjal Gala, Head of Global Emerging Markets: Die Schwellenländer haben 2022 gegenüber den Industrieländern in der Summe schlechter abgeschnitten. Betrachtet man jedoch die Performance der Schwellenländer ohne China, so liegen beide Regionen gleichauf. Während China mit eigenen Problemen zu kämpfen hat, haben sich die Schwellenländer trotz der steigenden Inflation allgemein resilient gezeigt. Im Jahr 2022 fiel die Inflation zum vielleicht ersten Mal in der jüngeren Geschichte in den Schwellenländern niedriger aus als in den Industrieländern. Aufgrund der über Jahre lockeren Geldpolitik, der wachsenden Haushaltsdefizite, der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und des strukturellen Ungleichgewichts aufgrund des Sozialstaates war das Inflationsrisiko in den Industrieländern stets hoch. Durch die Krise der letzten Jahre wurde diese Anfälligkeit immer deutlicher und zeigt sich nun in einer überdurchschnittlich hohen Inflation, quasi als Nebenprodukt dieser strukturellen Probleme.
Im Gegensatz zu ihren Pendants in den Industrieländern sind die politischen Entscheidungsträger in den Schwellenländern mit einem inflationären Umfeld und einem gewissen Maß an Marktvolatilität vertraut und verfolgen eine vorsichtige Makropolitik. Angesichts der nachfragedämpfenden Maßnahmen der globalen Zentralbanken wird sich die Welt von dem anfänglichen Inflationsschock erholen. Die Märkte werden 2023 wieder anziehen. Die Herausforderungen der Dekarbonisierung, der Deglobalisierung und der zunehmend ungünstigen demografischen Entwicklung in den Industrieländern werden jedoch die Inflation und den Wandel in den Industrieländern weiter vorantreiben. Insbesondere die Anfälligkeit der Industrieländer auf der Angebotsseite dürfte dazu führen, dass die Inflation mittelfristig höher und das Wachstum niedriger als in der Vergangenheit ausfallen wird. Für die Schwellenländer dürfte die Inflation unserer Meinung nach aufgrund der günstigen demografischen Bedingungen, der Produktionskapazitäten, der Verfügbarkeit wichtiger Ressourcen und der Konzentration auf Reformen/Infrastruktur auf der Angebotsseite ein geringeres Problem darstellen.
Mittel- bis langfristig rechnen wir mit einer Veränderung des Investitionsumfelds, das sich maßgeblich von dem der letzten zehn Jahre unterscheiden dürfte. Uns dürfte eine Veränderung des Marktregimes bevorstehen, wenn die Anleger eine Bewertung der Auswirkungen einer überdurchschnittlich hohen Inflation und hoher Kapitalkosten auf der einen sowie hartnäckigen Engpässen auf der Angebotsseite (Energie, Rohstoffe und Arbeitskräfte) auf der anderen Seite vornehmen. Der Wandel wird voraussichtlich neue Gewinner und Verlierer auf globaler, regionaler und sektoraler Ebene hervorbringen. Den Schwellenländern bietet sich die einmalige Chance, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, da die Inflation zu einer Angleichung der weltweiten Ausgangsbedingungen führt. Die Schwellenländer können von ihren Vorteilen in Sachen Wachstumsperspektiven, Verfügbarkeit von Arbeitskräften, Fertigungskompetenz und Rohstoffangebot profitieren. Wir rechnen damit, dass mehrere Schwellenländer von der bereits begonnenen Verlagerung der Lieferketten erheblich begünstigt werden. Währenddessen müssen sich die Industrieländer an die gestiegene Inflation anpassen und strukturelle Herausforderungen überwinden, die den Anlegern immer bewusster werden.
Die hier vertretenen Ansichten und Meinungen sind die des Verfassers. Sie decken sich nicht zwangsläufig mit den in anderen Mitteilungen ausgedrückten oder wiedergegebenen Ansichten. Diese Mitteilung ist weder eine Aufforderung noch ein Angebot zum Kauf oder Verkauf der darin erwähnten Wertpapiere oder Finanzinstrumente.
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Foto: Fraser Lundie © Federated Hermes
Federated Hermes: Marktausblick 2023, Teil 1: Inflation und Emerging Markets
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