YAML | Example "3col_advanced"
Anzeige

Anzeige
Anzeige
Anzeige

Krise - Welche Krise? Der Begriff Staatsschuldenkrise scheint nicht gerechtfertigt und ist wenig hilfreich

von Valentijn van Nieuwenhuijzen, Chefstratege, ING Investment Management

Vor dem Hintergrund der systemischen Krise in der Eurozone reden Marktteilnehmer und Experten seit zwei Jahren zunehmend von einer Staatsschuldenkrise. Der Eindruck, dass die öffentlichen Haushalte sich in einer massiven Schieflage befinden, dient in Europa und den USA als Rechtfertigung für den derzeit verfolgten Sparkurs. Dabei wird immer wieder betont, dass eine erneute systemische Krise jetzt nur mit einem haushaltspolitischen Sparkurs zu verhindern sei. Dieser Ansatz beruht auf der Überzeugung, aus dem Ruder laufende Staatsschulden seien die Ursache der aktuellen Eurokrise. Unbestritten ist, dass die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen langfristig sichergestellt werden muss. Eine differenzierte Diagnose der Krise legt indes nahe, dass diese Erklärung zu kurzsichtig ist. Dazu muss man sich nur anschauen, wie die Finanzmärkte derzeit die Nachhaltigkeit der öffentlichen Haushalte beurteilen. Auch ein Blick auf den empirisch belegbaren Verlauf der Eurokrise sollte hier als Warnhinweis dienen.

Es kann nicht oft genug hervorgehoben werden, dass die Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der Eurozone bis 2008 rückläufig war: Sie fiel von ca. 72 Prozent im Jahr 2000 auf 67 Prozent in 2007. Erst nach der globalen Finanzkrise von 2008 und der darauffolgenden tiefen Rezession stiegen die öffentlichen Schuldenquoten steil auf ein wohl nicht haltbares Niveau. Das gilt auch für die Euro-Peripherie, wenn auch die Konsequenzen von Land zu Land variieren. In Italien, Spanien und Irland fiel der öffentliche Schuldenstand im ersten Jahrzehnt nach Einführung des Euro, wobei Spanien und Irland in punkto Schuldendynamik besser aufgestellt waren als fast all ihre Peers in der Eurozone. Bei Spanien und Irland war es ganz klar die unhaltbare Schuldenentwicklung im privaten bzw. Finanzsektor, die das Solvenzrisiko für die jeweiligen Regierungen verschärfte. Die Regierungen mussten nämlich diese Lasten in ihre Bilanzen nehmen, um einen systemischen Crash abzuwenden. Nur Griechenland und Portugal wiesen bereits vor 2008 eine hohe – und steigende – Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf.

Zu behaupten, die Ursache der gegenwärtigen Euro-Systemkrise liege in der allgemein unverantwortlichen staatlichen Haushaltsführung im Jahrzehnt vor der sogenannten Staatsschuldenkrise, ist realitätsfern und widerspricht der Empirie. Grund für den plötzlichen Verfall der öffentlichen Haushalte ab 2008 war vielmehr das fatale Zusammenspiel aus weltweiter Finanzkrise, der sich daran anschließenden weltweiten Rezession und der wirtschaftlichen Verzerrungen innerhalb der EWU und nicht etwa der fiskalpolitische Kurs bis 2008. Die Tatsache, dass die Märkte nicht mehr auf die langfristige Solvenz der Länder an der Euro-Peripherie vertrauen, beruht auf dem Mangel an innereuropäischer Flexibilität bei der fiskalpolitischen Lastenteilung, unzureichenden Liquiditätshilfen für Mitgliedstaaten sowie dem Unvermögen, nominelle Wechselkursanpassungen zum Ausgleich wettbewerblicher Ungleichgewichte zu nutzen.

Die Marktreaktion auf die deutliche Verschlechterung der Staatshaushalte in den Industrieländern zeigt, dass viele Investoren den staatlichen Kreditnehmern nach wie vor ihr Kapital anvertrauen. Außerhalb der EWU-Peripherie sind die Staatsanleiherenditen in den vergangenen zwei Jahren trotz des starken Anstiegs der Haushaltsdefizite sowie der öffentlichen Schuldenquoten in zahlreichen Ländern deutlich gefallen. So konnten sechs europäische Regierungen erst kürzlich Mittel mit einer Laufzeit von zwei Jahren zu negativen Zinsen aufnehmen. In manchen Ländern sind die langfristigen Anleihezinsen auf den niedrigsten Stand aller Zeiten gefallen: So liegen die Renditen für zehnjährige Bundesanleihen bei 1,2 Prozent und für US Treasuries sowie UK Gilts gleicher Laufzeit bei unter 1,5 Prozent. Interessanterweise sind Staatsverschuldung und Haushaltsdefizit in den USA und Großbritannien höher als in Spanien; trotzdem werden diese beiden Länder vom Markt nicht als nahezu insolvent wahrgenommen.

Es sollte daher jedem klar sein, dass die entwickelte Welt sich nicht so sehr einer Staatsschuldenkrise gegenübersieht, als vielmehr einem massiven Entschuldungsprozess im Privatsektor, der die Endnachfrage drückt und dadurch infolge einer negativen Wachstumsdynamik zu höheren Defiziten der öffentlichen Hand führt. Gleichzeitig drückt dieser Prozess auf die Zinsen, da fast alle Wirtschaftsakteure, ob privat oder staatlich, ihre enormen Sparüberschüsse anlegen wollen.

Insofern legen sowohl die Ursachen als auch die Symptome der anhaltenden Schuldenkrise Folgendes nahe: Die Krise wurde nicht durch eine unverantwortliche öffentliche Haushaltsführung ausgelöst, wenn dies auch in einigen Ländern (vor allem Griechenland) eine Rolle gespielt hat. Desgleichen haben die Märkte durch die Krise nicht etwa das Vertrauen in die Schuldendienstfähigkeit der Staaten verloren. In vielen Fällen handelt es sich sicherlich um eine systemische, durch übermäßige Kreditaufnahme ausgelöste Krise. Dieser Prozess war allerdings in der Privatwirtschaft ebenso ausgeprägt wie bei der öffentlichen Hand, wenn nicht sogar stärker. Insofern erscheint die Bezeichnung „Staats“-Schuldenkrise nicht gerechtfertigt und ist wenig hilfreich. Zu behaupten, dass allein die Staatshaushalte an der Krise schuld sind, geht an der Realität vorbei und erschwert die Suche nach einer Lösung.

Indem wir uns der Tatsache stellen, dass wir es mit einer ernsten Krise zu tun haben, die allerdings nicht allein die Staatshaushalte betrifft, erhalten wir ein klareres Bild von den Zusammenhängen und erhöhen unsere Chance auf einen Weg aus der Krise. Dieses Bewusstsein mag zu der Erkenntnis führen, dass die Regierungen in anderen Teilen der Welt, die sogar dafür bezahlt werden, Kredite aufzunehmen, die Volkswirtschaft sicherlich stärker unterstützen könnten, als sie es bisher getan haben. Die Wachstumsagenda, die sich aus dieser Erkenntnis ergeben mag und an die Stelle der gegenwärtigen Sparpolitik treten muss, wäre jedenfalls ein wichtiger Erfolg.

Doch obwohl der seit über zwei Jahren verfolgte Sparkurs die Krise bislang nicht lösen konnte, versperren sich die politischen Entscheidungsträger dieser Einsicht und sind nicht bereit, sich auf einen anderen Lösungsansatz einzulassen. Solange wir darauf bestehen, dass es sich um eine „Staats“-Schuldenkrise handelt, wird eine effektive Lösung auf sich warten lassen. Es bleibt zu hoffen, dass der breit aufgestellte und anhaltende Zulauf auf den Staatsanleihenmarkt außerhalb der EWU-Peripherie irgendwann eine Wende auslöst. Doch wie viel die Anleger den Regierungen, denen sie ihr Kapital leihen, zahlen müssen, um diese Botschaft zu vermitteln, bleibt abzuwarten. Hoffen wir, dass die europäische Politik bald realisieren wird, dass ihr auch andere Optionen als der gegenwärtige Kurs offenstehen.
--------------------------------------------------------
Veranstaltungshinweis:
Unternehmer-Workshop „Unternehmensanleihen - Finanzierungsalternative für den Mittelstand“
am 19.09. in Frankfurt
www.bond-conference.com  
--------------------------------------------------------

Investment

Unternehmensanleihen haben sich insgesamt weiterhin positiv entwickelt, insbesondere im High-Yield-Bereich

Anleger konnten in den ver­gan­genen 18 Monaten mit fest­ver­zins­lichen Wert­papieren solide Gesamt­renditen erzielen. Denn trotz der anhal­tenden…
Weiterlesen
Investment

Positive Aussichten für Zinsanlagen, Euro-IG-Unternehmensanleihen favorisiert

„Hätte uns jemand vor fünf Jahren gesagt, dass uns eine globale Pandemie bevorsteht, eine Immobilien­krise in China, die Lieferketten stark gestört…
Weiterlesen
Investment

von Vasileios Gkionakis, Senior Economist and Strategist bei Aviva Investors

Anfang dieses Monats entließ Bundes­kanzler Olaf Scholz Finanz­minister Christian Lindner, womit die FDP faktisch aus der Ampel­koalition ausschied.…
Weiterlesen
Investment

von Massimo Spadotto, Head of Credit Strategies bei Eurizon

Stabile Inflation, sinkende Zinsen und moderates Wachstum sind eine gute Mischung für die Finanzmärkte. In den letzten Monaten hat sich die Inflation…
Weiterlesen
Investment
„Wir dachten zunächst, dass die Wahl von Donald Trump einen Schock für Schwellen­länder­anleihen auslösen würde. Aber das ist nicht der Fall,“ sagt…
Weiterlesen
Investment

von François Rimeu, Senior-Stratege, Crédit Mutuel Asset Management

Die US-Präsident­schafts­wahlen sind vorbei und das Ergebnis steht fest: Donald Trump ist zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden.…
Weiterlesen
Investment
Nach einer vorüber­gehenden Flaute befinden sich Wandel­anleihen wieder im Aufwind, sagt Arnaud Brillois, Portfolio­manager/ Analyst bei Lazard Asset…
Weiterlesen
Investment

von Rick Romano, Head of Global Real Estate Securities bei PGIM Real Estate

Die US-Notenbank hat sich anderen Zentral­banken angeschlossen und einen geldpolitischen Lockerungs­zyklus eingeleitet. Real Estate Investment Trusts…
Weiterlesen
Investment

von Christian Rom, Lead Portfolio Manager DNB Fund Renewable Energy bei DNB Asset Management

Mit dem Sieg von Donald Trump und der wahr­schein­lichen repub­lika­nischen Kontrolle von Senat und Repräsen­tanten­haus stehen für den Sektor…
Weiterlesen
Investment

von Kareena Moledina, Lead – Fixed Income Client Portfolio Management (EMEA) / Fixed Income ESG, Janus Henderson Investors

Der entschlossene Schritt der Fed, die Zinssätze erneut zu senken, in Ver­bindung mit dem schnellen US-Wahl­ergebnis führt zu einer Mischung aus…
Weiterlesen
Anzeige

Neue Ausgabe jetzt online!