Kommentar von Dr. Jürgen Odenius, Economic Counsellor bei PGIM Fixed Income, zur jüngsten Entscheidung der türkischen Zentralbank:
„Das Versäumnis der türkischen Zentralbank, am 24. Juli 2018 ihren geldpolitischen Kurs zu straffen, könnte viel größere Auswirkungen haben als ‚nur‘ eine verpasste Chance, die rasant ansteigende Inflation zu bekämpfen. Vielmehr riskiert die Zentralbank eine Vertrauenskrise, die zu einem Kursverlust der türkischen Lira mit nachteiligen Folgen für die meisten anderen Assetklassen führen könnte. Das bedeutet jedoch nicht, dass dieser Fehler nicht korrigiert werden könnte. Allerdings, wie in jeder anderen Vertrauenskrise, ist das Wiederherstellen der Glaubwürdigkeit im Laufe der Zeit kostenintensiv und erfordert ‚eine kontinuierlich straffe Geldpolitik‘ – eine Erkenntnis, die in naher Zukunft wohl keine politische Zugkraft erzielen wird.
Die heutige Entscheidung könnte als Bestätigung dafür gesehen werden, dass Präsident Erdogan Entscheidungsprozesse zentralisiert hat und seine unorthodoxe politische Linie die Wirtschaftspolitik zukünftig dominiert. Im Hinblick auf die von Erdogan während des Wahlkampfes getroffenen Aussagen, wartet der Markt auf eine Einordnung der politischen Haltung der Türkei nach dem Urnengang. Dabei werden einige Punkte genau beobachtet: Die Unabhängigkeit der Zentralbank gegenüber dem Präsidenten, die nach der Wahl vorgenommenen Änderungen im Zentralbankgesetz, die Konsolidierung wirtschaftlicher Entscheidungsbefugnisse sowie die Ernennung von Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak zum Minister des jetzt zusammengelegten Finanz- und Schatzministeriums.
Obwohl eine weitere inflationäre Schwächung und Destabilisierung der türkischen Lira erwartet wird, sind die Auswirkungen der heutigen Entscheidung vermutlich weitreichender. Angesichts des außerordentlich hohen Außenfinanzierungsbedarfs der Türkei, der vom Internationalen Währungsfonds (IMF) auf rund 25 Prozent des BIP geschätzt wird, dürfte eine wahrnehmbare Verlagerung zu einem politisch unorthodoxen Regime die Roll-Over-Risiken erhöhen und Währungsinkongruenzen nach sich ziehen – und dies inmitten aufziehender finanzieller Belastungen im Energie- und Bausektor. Darüber hinaus erhöht das unorthodoxe geldpolitische Regime die Unsicherheit in Bezug auf die finanzpolitische Haltung der Türkei und somit auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Fiskalpolitik vorerst übermäßig stimulierend bleibt.“
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(Foto: Dr. Jürgen Odenius © PGIM Fixed Income)
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