Die internationalen Märkte werden zunehmend von einzelnen Risikofaktoren beeinflusst. Doch ist die jüngste Krise in der Türkei lediglich ein weiterer Einzelfall oder ist sie symptomatisch für die Herausforderungen, denen die Weltwirtschaft heute gegenübersteht? Könnte die Entwicklung in der Türkei gar einen Dominoeffekt auslösen?
„Die Krise in der Türkei ist vor allem auf innere Ungleichgewichte zurückzuführen. Das schnelle Wirtschaftswachstum wurde durch einen starken Anstieg des Kreditwachstums und der Staatsausgaben angetrieben und führte zu einer deutlichen Ausweitung des türkischen Leistungsbilanzdefizits. Zugleich ist das Land stark von volatilem kurzfristigen ausländischen Kapital abhängig. Zu dieser besorgniserregenden Entwicklung gesellen sich Zweifel an der Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Zentralbank. Auf die steigende Inflation, die nun bei mehr als 10 Prozent über ihrem Ziel liegt, hat sie nicht mit einer Erhöhung des Leitzinses reagiert. Präsident Trump hat mit seiner Entscheidung, auf die sich verschlechternden Beziehungen mit der Einführung von Sanktionen und Zöllen auf türkische Waren zu reagieren, weiteres Öl ins Feuer gegossen“, erklärt Seema Shah, Global Investment Strategist bei Principal Global Investors.
Schon für sich genommen würden diese spezifischen Probleme einen starken Vertrauensverlust der Anleger und einen schnellen Kapitalabfluss bewirken. In Verbindung mit einem zunehmend schwierigem außenwirtschaftlichen Umfeld, das die Liquiditäts- und Finanzbedingungen erschwere, sehe sich die Türkei einer Lage ausgesetzt, die typisch für Krisen in Schwellenländern sei.
Doch haben Investoren Recht, wenn sie befürchten, dass die jüngste Aufwertung des US-Dollars, die schrumpfende Bilanz der US-Notenbank und die zunehmenden Spannungen im Handel eine systemische Emerging-Markets-Krise auslösen können?
„Darauf würde ich mit Nein antworten“, so Shah. „Letztendlich ist die Türkei aufgrund ihrer innenwirtschaftlichen Probleme besonders von den aktuellen weltwirtschaftlichen Herausforderungen betroffen. Sie ist das einzige großes Schwellenland, in dem der private Sektor ein hohes Spardefizit aufweist und daher stark von Kapitalzuflüssen abhängig ist. Die Türkei ist auch eines der wenigen Schwellenländer, in denen die wichtigsten makroökonomischen Stabilitätsindikatoren überstrapaziert sind.“
Im deutlichen Gegensatz zur Türkei und zu den Bedingungen der Asienkrise Ende der 1990er Jahre wiesen viele Schwellenländer heute Leistungsbilanzüberschüsse oder nur geringe Defizite aus. Das Verhältnis von Devisenreserven zur kurzfristigen Auslandsverschuldung falle in diesen Ländern in der Regel angemessen hoch aus. Darum seien nur wenige von ihnen für Zahlungsbilanzkrisen anfällig; die meisten kämen mit Kapitalabflüssen zurecht. Um eine sich weit ausbreitende Emerging-Markets-Krise auszulösen, bedürfe es eines massiven Kapitalabzugs.
Zugegebenermaßen seien mehrere große Schwellenländer erhöhten politischen Risiken von innen oder außen ausgesetzt – darunter Argentinien, Brasilien, Mexiko, Russland und Südafrika. Diese müssen jedoch ebenfalls von schweren wirtschaftlichen Ungleichgewichten, Abhängigkeit von ausländischem Kapital und unorthodoxer Politik gezeichnet sein, um verwundbar zu sein.
„Die Aussichten für die meisten Schwellenländer sind für das nächste Jahr positiver. Die Bewertungen sehen wieder attraktiv aus. Sollten die Spannungen im Handel nachlassen, ist die Zeit reif für eine Trendwende in den asiatischen Schwellenländern. Darüber hinaus deuten verschiedene technische Faktoren darauf hin, dass der Spielraum für eine weitere Aufwertung des US-Dollars begrenzt ist – das Hauptargument, warum viele Anleger Unbehagen bezüglich Schwellenländern haben, wäre somit entkräftet. Der Türkei hingegen steht eine lange und schmerzhafte Neuausrichtung bevor - ihre Probleme gehen tiefer und werden nicht so leicht zu lösen sein“, erklärt Shah.
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(Foto: © pixabay)
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