Beim Kampf gegen die Finanzkrise galt die EZB lange Zeit als Mauerblümchen – insbesondere im Vergleich zur Fed. Während die US-Notenbank ein aggressives »Quantitativ Easing« praktizierte und den Leitzins auf null senkte, hielten sich die Währungshüter in Frankfurt eher zurück.
Seit der Eskalation der Eurokrise im Sommer 2011 scheint sich das Bild jedoch zu wandeln – die EZB wird offenbar immer expansiver. Ein Indiz dafür sehen viele in der Ausweitung der Bilanzsumme: Zwischen Juli 2011 und Dezember 2011 nahm sie von 2,0 auf 2,7 Billionen EUR zu. Die Fed fällt hingegen zurück: Ihre Bilanzsumme stagnierte im 2. Halbjahr 2011 bei 2,2 Billionen EUR (2,9 Billionen USD). Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung wird der Unterschied noch grösser: Während sich die Aktiva der US-Notenbank gerade einmal auf 19 % des BIPs summieren, sind es in der Eurozone mittlerweile 29 %. Damit aber nicht genug, Ende Februar wird der Vorsprung der EZB im Zuge des zweiten 3-Jahres-Tenders weiter zunehmen. Überspannt die EZB mittlerweile den Bogen?
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Notenbankbilanz ist nicht gleich Notenbankbilanz
Beim Vergleich von Notenbankbilanzen ist indes Vorsicht geboten. So wird insbesondere die Verwaltung der Gold- und Währungsreserven in den einzelnen Ländern unterschiedlich gehandhabt. In den USA fällt diese Aufgabe dem Finanzministerium zu, in den Euroländern den nationalen Notenbanken bzw. der EZB – die Bilanzsumme des Eurosystems wird entsprechend aufgebläht. Führte man eine Bereinigung um den Gold- und Devisenschatz (knapp 700 Mrd. EUR) durch, würde das Volumen der EZB-Bilanz von 2,7 auf 2,0 Billionen EUR schrumpfen. Sie wäre damit in absoluten Zahlen kleiner als diejenige der Fed.
Zu berücksichtigen sind ausserdem Unterschiede bei den Mindestreservevorschriften. Je mehr Einlagen reservepflichtig und je höher die Sätze sind, desto mehr Zentralbankgeld müssen die Geschäftsbanken bei der Notenbank hinterlegen. Dies führt ebenfalls zu einer Ausweitung der Bilanzsumme, ohne dass dadurch mehr Liquidität im Umlauf ist. In der Eurozone fielen die Anforderungen bislang strenger aus. In den vergangenen Jahren mussten die Geschäftsbanken der Eurozone durchschnittlich 210 Mrd. EUR bei der Notenbank hinterlegen. Bei den amerikanischen Banken waren es zuletzt knapp 70 Mrd. EUR.
Bereits diese beiden Beispiele zeigen, dass allein ein Vergleich der Bilanzsummen nicht viel über den Expansionsgrad der Geldpolitik aussagt. Sinnvoller erscheint es, die Struktur der Notenbankbilanzen der Fed und der EZB gegenüberzustellen.
Federal Reserve hat riesiges Wertpapierportfolio angehäuft
In den USA dominieren auf der Aktivseite der Notenbankbilanz die Wertpapierbestände. Dies hängt mit der Art und Weise der Liquiditätssteuerung zusammen. Um die Banken mit Zentralbankgeld zu versorgen, führt die Fed in erster Linie »endgültige« Wertpapierkäufe (»Outright-Geschäfte«) durch. Revolvierende Notenbankkredite, wie sie in der Eurozone üblich sind, werden hingegen nur in kleinen Dosen zur Feinsteuerung der Fed Funds Rate eingesetzt. Als Folge davon finden sich auf der Aktivseite der Fed-Bilanz primär Wertpapiere – insbesondere Treasuries (vgl. Abb. 2). Kredite an Geschäftsbanken sind vom Umfang her vernachlässigbar.
Im Zuge der Finanzkrise legte die Fed mehrere Notprogramme auf, mit denen eine kräftige Ausweitung der Bilanzsumme einherging. Diente dies anfangs noch der Vorbeugung von Liquiditätsengpässen, traten schon bald andere Ziele in den Vordergrund: Die Hypothekenmärkte sollten gestützt und das allgemeine Zinsniveau gedrückt werden. In zwei Runden (»QE1« und »QE2«) erwarb die US-Notenbank
Hypothekenpapiere und Staatsanleihen im Umfang von 2,1 Bio. USD. Die Kehrseite war eine massive Liquiditätsflutung des Bankensystems, das schon bald über wesentlich mehr Zentralbankgeld verfügte, als zur Bargeldversorgung und Mindestreserveerfüllung notwendig war. Anders ausgedrückt haben sich bei den Banken mittlerweile Überschussreserven in Höhe von 1,5 Bio. USD angesammelt, was immerhin 10 % des BIPs der USA entspricht.
Befürworter von »QE1« und »QE2« sehen darin kein Problem. Sie betonen stattdessen, dass die Anleihenkäufe sich als wirksames Instrument zur Stabilisierung des Immobilienmarkts sowie der Konjunktur erwiesen hätten, während die Teuerungsrisiken überschaubar geblieben seien.
Kritiker machen in dem Geldüberhang hingegen ein enormes Inflationspotential aus. Sollte die Konjunktur schneller als gedacht anziehen, dürfte es der Fed dieser Meinung nach schwer fallen, die Liquidität rechtzeitig wieder abzuziehen bzw. die Leitzinsen schnell genug anzuheben. Zumindest berge die Liquiditätsflut die latente Gefahr einer Asset-Price-Inflation, die wiederum den Boden für eine Finanzkrise bereiten könnte. Mithin ist die Debatte über das Für und Wider des »Quantitative Easing« in vollem Gange.
EZB will primär die Banken stützen
Anders als die Fed führt die EZB keine endgültigen Wertpapierkäufe zur Geldmarktsteuerung durch. Stattdessen werden die Geschäftsbanken über revolvierende Kredite mit Zentralbankgeld versorgt. Staatsanleihen und andere Assets spielen daher traditionell auf der Aktivseite der Bilanz des Eurosystems eine geringere Rolle als bei der Fed (vgl. Abb. 3). Dennoch wies dieser Bilanzposten bereits vor der Finanzkrise ein Volumen von immerhin knapp 300 Mrd. EUR auf (15 % der Bilanzsumme). Das zur damaligen Zeit (vor 2008) bestehende Wertpapierportfolio diente jedoch keinen geldpolitischen Zwecken. Vielmehr handelt es sich vorwiegend um Vermögensbestände der nationalen Notenbanken, die einen Teil ihrer Kapitalrücklagen bzw. Pensionsrückstellungen in Anleihen und Aktien investiert haben.
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Mittlerweile ist der Wertpapierbestand in der Bilanz des Eurosystems auf 620 Mrd. EUR angewachsen. Ein Grossteil des Zuwachses geht auf das Konto von Anleihenkäufen, die nunmehr eindeutig geldpolitische Motive besitzen: Zum einen sollte die Refinanzierung der Banken gestützt (»Covered Bond Program«) und zum anderen sollten die Zinssätze in den Peripherieländern gesenkt werden (»Securities Market Program«). Von der Grössenordnung sind die Anleihenkäufe allerdings unverändert nicht mit den Programmen der Fed vergleichbar (280 Mrd. EUR versus 1.600 Mrd. EUR). Erst recht gilt dies für die damit verbundene geldpolitische Wirkung. So wird die aus den Staatsanleihenkäufen resultierende Ausweitung der Geldmenge durch liquiditätabsorbierende Geschäfte sterilisiert.
Das Hauptaugenmerk bei der Betrachtung der EZB-Bilanz sollte daher nach wie vor auf die Kredite an die Geschäftsbanken gerichtet sein. Seit Beginn der Finanzkrise kam es hier zu einer Ausweitung von 450 auf 800 Mrd. EUR. Den Geschäftsbanken flossen entsprechend 350 Mrd. EUR an zusätzlichem Zentralbankgeld zu. Berücksichtigt man überdies die jüngste Halbierung der Mindestreservesätze sowie die nichtsterilisierten Ankäufe von Covered Bonds verfügen die Banken mittlerweile über Liquiditätsreserven von rund 500 Mrd. EUR (= 5,0 % des BIPs).
Wie in den USA hat sich damit auch in der Eurozone ein, wenn auch kleinerer, Geldüberhang herausgebildet. Inflationsrisiken lassen sich daraus aber nicht ableiten. Die zusätzlichen Gelder sind für die Banken bislang primär ein Ersatz für den zusammengebrochenen Interbankenmarkt. Vor allem die Kreditinstitute der Peripherieländer stützen sich bei der Refinanzierung in immer stärkerem Masse auf EZB-Gelder (vgl. Abb. 4). Dies zeigt sich auch in den Bilanzsummen der europäischen Banken, die in den vergangenen Jahren kaum gewachsen sind – weder die Kredit- noch die Wertpapierbestände wurden signifikant ausgebaut.
Ein erstes Zwischenfazit lautet daher: Bis Ende 2011 war die Liquiditätspolitik der EZB weniger expansiv als diejenige der Fed. Zum einen wurde ein geringerer Geldüberhang erzeugt. Zum anderen haben die europäischen Währungshüter das zusätzliche Zentralbankgeld primär den Banken zugeführt, die (bislang) auf eine Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit verzichtet haben. Die US-Notenbank hat das frische Geld (durch die Wertpapierankäufe) hingegen bereits in die Vermögensmärkte gepumpt.
Mit den 3-Jahres-Tendern nähert sich die EZB dem Fed-Verhalten an
Ist das Vorgehen der EZB also völlig unproblematisch? Kritisch anzumerken ist, dass die Notenbank mit den 3-Jahres-Tendern in ganz neue Dimensionen vorstösst – sowohl was das Volumen als auch die Fristigkeit anbetrifft. Hatten die Währungshüter aber Anfang Dezember 2011 eine andere Wahl, als ein klares Zeichen zu setzen? Die Renditen italienischer Staatsanleihen strebten damals mit hohem Tempo auf die 8,00 %-Marke zu. Mehr noch, die Krise drohte auf die Kernstaaten Österreich und Frankreich überzuspringen – Staatsanleihenspreads dieser Länder erreichten (im Vergleich zu Bundesanleihen) Rekordhöchststände. Die Politik war nicht in der Lage oder willens, mit einer Vergrösserung des Rettungsnetzes gegenzusteuern, sodass lediglich die EZB als Feuerwehr einspringen konnte.
Bislang können diese »Löscharbeiten« als grosser Erfolg gewertet werden. Die Liquiditätsflutung hat in zweierlei Hinsicht zur Entspannung der Eurokrise beigetragen. Zum einen wurden die Refinanzierungsschwierigkeiten der Banken entschärft – viele Kreditinstitute nutzen den ersten 3‑Jahres-Tender zum Aufbau eines Liquiditätspuffers für fällig werdende Bankschuldverschreibungen.
Zum anderen haben sich die Spreads eingeengt, d.h., billiges EZB-Geld wurde in hochverzinsliche Staatsanleihen getauscht. Gerade für Banken der Peripherie lag ein solcher »Carry-Trade« auf der Hand – und bislang ist der Deal perfekt aufgegangen. So weisen etwa italienische Staatsanleihen mit 3‑jähriger Laufzeit seit Jahresbeginn eine Performance von 6,0 % auf. Aber nicht nur Staatsanleihen, sondern auch sämtliche andere Vermögenswerte (Aktien, Unternehmensanleihen, Rohstoffe) haben vom Liquiditätsschub profitiert (vgl. Abb. 5). Als positive Begleiterscheinung des aufgehellten Finanzmarktsentiments konnten Spanien und Italien problemlos neue Staatsanleihen zu erträglichen Konditionen platzieren. Mehr noch, mittlerweile trauen sich sogar wieder Banken aus den »PIIGS«-Staaten mit unbesicherten Anleihen an die Kapitalmärkte.
Mission 1 der EZB-Rettungsaktion – die Abwendung der Implosion der Eurozone – ist somit geglückt. Mittel- und langfristig könnte das Vorgehen der EZB jedoch, wie im Falle der Fed, ungewünschte Nebenwirkungen mit sich bringen. So zeichnet sich für den zweiten 3-Jahres-Tender erneut ein hohes Bietervolumen ab. Dazu dürfte auch ein gewisser Herdentrieb der Banken beitragen. Institute, die beim ersten Mal nicht mitgesteigert haben, werden den entgangenen Gewinnen aus den »Carry-Trades« nachtrauern und auf den Zug aufspringen wollen. Dies gilt umso mehr, als Mario Draghi alle Finanzinstitute geradezu dazu auffordert, an den 3‑Jahres-Tendern teilzunehmen.
Ein Zuteilungsvolumen von erneut 500 Mrd. EUR erscheint in Anbetracht dessen realistisch. Die Überschussliquidität aufseiten der Banken würde damit auf 1.000 Mrd. EUR steigen (= 10 % des BIPs der Eurozone). Mithin wäre die Liquiditätspolitik der EZB vom Volumen her durchaus vergleichbar mit dem »Quantitative Easing« der Fed. Auch in anderer Hinsicht sollte eine Annäherung an die USA stattfinden. Das überschüssige Zentralbankgeld dürfte in noch stärkerem Masse als bislang für Wertpapierkäufe verwendet werden, denn mit der Entspannung der Eurokrise sinkt die Notwendigkeit für die Banken, Liquiditätspuffer zu unterhalten.
Die Gefahr einer Vermögensblase im Nachgang des zweiten 3-Jahres-Tenders ist somit nicht von der Hand zu weisen. Die zusätzliche Liquidität (1.000 Mrd. EUR wären 15 % des ausstehenden Staatsanleihenvolumens der Eurozone) dürfte für Rückenwind in allen Asset-Klassen sorgen und den Kursen zunehmend die realwirtschaftliche Bodenhaftung nehmen. Am Ende könnte die Finanzwelt wieder dort ankommen, wo sie schon einmal Mitte 2008 stand: Die Risikoprämien innerhalb der Eurozone sind komplett nivelliert, der Dax liegt bei über 8.000 Punkten und der Ölpreis jenseits von 150 USD.
Das Problem wird dadurch verschärft, dass die EZB die zusätzlich zur Verfügung gestellten Gelder auch nicht mehr so einfach von den Banken zurückrufen kann. Die Notenbank hat sich zunächst einmal für drei Jahre gebunden. Wenn müssten die Währungshüter die Liquidität wahrscheinlich mit hohen Zinsen (im Rahmen liquiditätabsorbierender Offenmarktgeschäfte) in die EZB-Bilanz zurückholen.
Fazit: Die EZB-Politik ist ein alternativloses Experiment mit unsicherem Ausgang
Unsere Analyse hat zunächst gezeigt, dass die Bilanz des Eurosystems durch verschiedene Faktoren künstlich aufgebläht wird. Daneben praktizierte die EZB lange Zeit – anders als die Fed – kein klassisches »Quantitative Easing«, sondern zielte mit ihren Massnahmen vor allem auf die Stabilisierung des Bankensystems ab.
Mit der Bereitstellung der 3-Jahres-Tender, zu der sie politisch mehr oder weniger gezwungen wurde, hat sich die EZB jedoch zweifelsohne der Fed-Politik angenähert. So zeichnet sich aufseiten der Banken ein Überschuss an Zentralbankgeld von bis zu 1.000 Mrd. Euro ab – Liquidität, die zu einem grossen Teil an die Vermögensmärkte fliessen wird. Kurzfristig stellt diese Liquiditätsflut sicherlich einen wichtigen Beitrag zur Entspannung der Eurokrise dar, mittelfristig steigt jedoch das Risiko einer Vermögensblase. Mit anderen Worten, die Lunte an das Pulverfass EZB-Bilanz ist gelegt, ob es zur Explosion kommt, ist aber noch offen.
Pulverfass EZB-Bilanz?
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