Laut der Frühsommerumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) investieren 37 Prozent der Mittelständler lieber in neue Standorte im Ausland, weil dort die Kosten und bürokratischen Hürden niedriger sind. Der DIHK- Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben warnt vor einer schleichenden Deindustrialisierung Deutschlands und damit die Grundlage des Wohlstands. Er fordert gerade auch wegen der geopolitischen Krisen, die Unternehmen verunsichern, klare positive Signale aus Berlin und Brüssel.
Es geht nicht nur um Großkonzerne wie BASF, die die Produktion aus Deutschland wegen der hohen Energiekosten und dem Fachkräftemangel auf andere Kontinente verlagern, sondern es geht um das Rückgrat der deutschen und damit auch der europäischen Wirtschaft – den Mittelstand.
Wir möchten in diesem Standpunkt nur auf einen Bürokratisierungsanker hinweisen, der aus Brüssel und Berlin an den Mittelstand, der kapitalmarktorientiert ist, weitergereicht wird. Interessen- oder Lobbyverbände, die angeblich den kapitalmarktorientierten Mittelstand vertreten, haben sich auch nicht zu Wort gemeldet, sondern die Augen geschlossen gehalten. Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD (Corporate Sustainibility Reporting Directive) regelt die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung im Lagebericht. Europaweit ist CSRD am 5. Januar 2023 in Kraft getreten und muss national Schritt für Schritt umgesetzt werden. Nachhaltigkeits- und Finanzberichtserstattung sollen so den gleichen Stellenwert erhalten. Auch hier gilt wie bei vielen Regulierungsvorhaben – gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Gleichwohl ist es richtig und richtungsweisend.
Nachhaltigkeit sollte und ist für alle mittelständische Unternehmen schon heute ein wichtiges Thema, ohne dass sie auf den Weltmärkten nicht konkurrenzfähig sind. Mühsam wurden in den letzten Jahrzehnten Mittelständler überzeugt den Kapitalmarkt zu suchen – egal über einen Börsengang oder das Vehikel einer Anleihe, um Fremdkapital bankenunabhängig zumeist auch über einen längeren Zeitraum aufzunehmen. Viele Mittelständler ließen sich auch noch immer von einer ausführlichen, teuren Finanzberichterstattung – zumeist nach IFRS – abhalten, den Schritt an den Kapitalmarkt zu gehen.
Laut BaFin sind ab dem 1. Januar 2025 alle anderen großen Unternehmen berichtsverpflichtet. Alle anderen großen Unternehmen? Dann käme ja diese Problematik erst ab 2026 auf den Mittelstand zu. §267 HGB regelt, welche Unternehmen als „groß“ gelten. Es wird auf § 264 HBG verwiesen (da wäre er der Bürokratiesumpf, der Europa und Deutschland lähmt): Kaptalmarktorientierte Kapitalgesellschaften werden immer, wie Großunternehmen behandelt, auch wenn es tatsächlich kleinere Unternehmen sind.
Was verbirgt sich denn jetzt konkret hinter CSRD? Da zukünftig alles im Rahmen der Bilanzprüfung von der BaFin kontrolliert wird, möchten wir hier ein ausführliches Zitat aufnehmen. „Besondere Bedeutung bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung hat das Kriterium der ’Wesentlichkeit’, denn nicht alle Aspekte der Nachhaltigkeit sind in die Nachhaltigkeitsberichterstattung aufzunehmen. Dafür haben Unternehmen eine Wesentlichkeitsanalyse vorzunehmen. Zu berichten ist sowohl über die wesentlichen Auswirkungen der Tätigkeit des Unternehmens auf Mensch und Umwelt (’Wesentlichkeit der Auswirkungen’) als auch über die wesentlichen Auswirkungen der Nachhaltigkeitsaspekte auf das Unternehmen (’finanzielle Wesentlichkeit’), d.h. wie sich z.B. der Klimawandel auf die Entwicklung, die Leistung und die Lage des Unternehmens auswirkt (bzw. auswirken kann). Dabei handelt es sich um das sogenannte ’Prinzip der doppelten Wesentlichkeit’.“
Zusammenfassend: Wir haben einen Mittelständler, der eine Anleihe von 30 Mio. EUR am Kapitalmarkt platziert hat. Es gibt 25 Mitarbeiter – zwei in der Buchhaltung und Rechnungswesen. Die CSRD- Richtlinie sprengt die inhaltliche Kompetenz und die finanzielle Potenz eines kleinen kapitalmarktorientierten Unternehmens.
Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Brüssel und Berlin mittelständischen Unternehmen nicht unterstützen, sondern im Gegenteil noch Hürden aufstellen. Wenn wir nicht von einem Standortnachteil sprechen wollen – ein Standortvorteil ist das Bürokratiemonster aus Brüssel und Berlin sicherlich nicht.
Zu mwb:
Die mwb fairtrade Wertpapierhandelsbank AG ist ein von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zugelassener Wertpapierdienstleister mit Niederlassungen in Gräfelfing bei München, Hamburg, Hannover, Frankfurt und Berlin. Das Unternehmen wurde 1993 gegründet. 1999 erfolgte der Börsengang. Heute ist die mwb-Aktie (ISIN DE000A3EYLC7, WKN A3EYLC) an der Börse München im Segment m:access notiert wie auch im Freiverkehr an den Börsen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt (Basic Board), Hamburg und Stuttgart. mwb ist in zwei Geschäftsbereichen aktiv: Wertpapierhandel und Corporates & Markets. Im Wertpapierhandel betreut mwb rund 46.000 Orderbücher für deutsche und internationale Wertpapiere. Dabei handelt es sich sowohl um Aktien als auch um festverzinsliche Wertpapiere und offene Investmentfonds. Damit ist mwb einer der größten Skontroführer in Deutschland.
www.fixed-income.org
Foto: Kai Jordan © mwb Wertpapierhandelsbank AG
Standortfrage für den kapitalmarktorientierten Mittelstand
fixed-income.org
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