Zuletzt haben wir darauf hingewiesen, dass ein Hauptrisiko in diesem Jahr darin besteht, dass wir alle den geldpolitischen Zyklus falsch eingeschätzt haben. Das würde bedeuten, dass die Zinsen schneller steigen als gedacht. Das Protokoll der jüngsten Sitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), das am 5. Januar veröffentlicht wurde, unterstreicht dieses Risiko. Es wurde mehr als angedeutet, dass die Zinserhöhungen früher beginnen könnten und die Notenbank ihre Bilanz aggressiver reduziert. Dass sagt zwar nichts über das Ende des kommenden geldpolitischen Zyklus aus – die finale Zinsprognose der Fed liegt nach wie vor bei 2,5 Prozent – aber der Weg dorthin könnte holpriger sein.
Reale Renditen in Bewegung
Die große Reaktion auf das Fed-Protokoll war ein sprunghafter Anstieg der realen Renditen bei zehnjährigen Laufzeiten auf der Renditekurve um 30 Basispunkte (BP). Der Fokus liegt nun auf der zyklischen Entwicklung. In vergangenen geldpolitischen Straffungszyklen in den USA sind die realen Renditen gestiegen. Dies geschah zwar nicht im Verhältnis eins zu eins, reichte aber aus, um für einen Anstieg der nominalen Renditen zu sorgen. Es sieht so aus, als würde sich dieser Ablauf wiederholen, und sowohl frühere Zinserhöhungen der Fed als auch eine aggressivere Reduzierung ihrer Bilanz werden die realen Renditen möglicherweise in die Höhe treiben. Im Moment tendiert man zu der Ansicht, dass die Anleiherenditen zu kämpfen haben werden, bis sich die Märkte auf einen neuen Konsens für den Pfad der Zinsentwicklung geeinigt haben.
Wachstumsrisiken kommen hinzu
Wäre 2022 angesichts einer zurückgehenden Pandemie, nachlassender Lieferengpässe und eines abnehmenden Arbeitskräftemangels durch eine fortgesetzte wirtschaftliche Erholung gekennzeichnet, dann wäre das Vertrauen in die Zinsentwicklung höher. Wir befinden uns jedoch mitten in der vierten Pandemiewelle. Auch wenn die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle dank der Impfungen niedriger ist als bei früheren Wellen, kommt es immer noch zu Störungen. Man beachte die weit verbreitete Annullierung von Flügen über die Feiertage und die in vielen Volkswirtschaften gemeldeten Engpässe im öffentlichen Sektor und bei anderen Arbeitskräften. Dies wird kurzfristig einige Abwärtsrisiken für das Wachstum mit sich bringen. Hinzu kommt, dass der weltweite Anstieg der Energiepreise nicht nachlässt. Diese Steuer auf das Einkommen wird die Unsicherheit bezüglich des Wachstums noch verstärken. Auch wenn die Anleihemärkte sehr empfindlich auf die Botschaften der Zentralbanken reagieren und mehr Zinserhöhungen eingepreist haben als noch vor einigen Wochen, muss es ein Szenario geben, in dem sich die Normalisierung der Geldpolitik verzögert.
Unsicherheiten bei Aktien
All das schafft Unsicherheit. Die Anleiherenditen sind auf ihren Höchststand von 2021 gestiegen. Für Anleger, die sich um das Wachstum sorgen und bezweifeln, dass die Aktienmärkte die Wertentwicklung der vergangenen zwei Jahre aufrechterhalten können, bieten diese Renditeniveaus einen gewissen defensiven Schutz. Auf der Aktienseite deuten die Daten zur Gewinndynamik und den Gewinnrevisionen darauf hin, dass eine Gesamtrenditeerwartung von fünf bis zehn Prozent in diesem Jahr angemessen ist. Die jüngsten Daten der Analysten sind in Bezug auf das Gewinnwachstum pro Aktie für Europa negativer als für die USA. Aber es bleibt dabei, dass der US-Markt höher bewertet ist. Der Anstieg der Anleiherenditen könnte eine Neubewertung bei Aktien erzwingen, die vielleicht schon auf Index- und Sektorenebene stattfindet.
Mean Reversion?
Weltweit waren die Aktienerträge stark überdurchschnittlich. Legt man den MSCI World Total Return Index und den ICE Global Bond Market Index zugrunde, so haben Aktien im vergangenen Jahr bis Dezember 2021 Anleihen um 26 Prozent übertroffen. In der anfänglichen COVID-19-Erholungsphase zwischen März 2020 und März 2021 lag die Outperformance bei 40 Prozent. Ein solches Ergebnis werden wir vermutlich in diesem Jahr nicht erleben werden. Eine gewisse Umkehr zum Mittelwert, eine Mean Reversion, ist wahrscheinlich. In den USA beträgt der Abstand zwischen der Gewinnrendite des S&P 500 und der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen 2,88 Prozent. Das ist niedriger als an jedem anderen Markt und geringer als während des größten Teils des Zeitraums der quantitativen Lockerungen (Quantitative Easing, QE). Wenn die Anleiherenditen in die Höhe schnellen, erhöht sich das Risiko einer Aktienkorrektur entsprechend.
Stillstand beim Vermögenswachstum?
Wenn die relativen Renditen von Aktien und Anleihen im Jahr 2022 geringer ausfallen, ist dies wahrscheinlich eher auf fallende Aktienmärkte zurückzuführen als auf einen deutlichen Anstieg der Anleiherenditen. Der Grund dafür wäre eine Zunahme der risikoaversen Stimmung, ausgelöst durch die unsicheren wirtschaftlichen und politischen Aussichten. Anleger sollten darauf vorbereitet sein, dass das Gesamtvermögen nicht mehr so stark zunimmt wie in den vergangenen Jahren. Vorerst bleiben wir bei unserer Ansicht, dass hochverzinste Anleihen mit kurzer Duration und inflationsgebundene Anleihen attraktiv bleiben, ebenso wie ertragsbringende variabel verzinste Instrumente. Bislang gibt es keine Anzeichen für eine Verschlechterung der Bonität. Auf der Aktienseite sollte man entweder auf bessere Bewertungen warten oder an einer langfristigen Sichtweise festhalten. Es gibt viele Megatrends, die die Aktienerträge in den kommenden Jahren antreiben werden – vor allem rund um die Themen Dekarbonisierung, die weitere Digitalisierung und soziale Aspekte (Gesundheitswesen, Freizeit, neue Trends bei der Vereinbarkeit von Leben und Arbeit).
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Foto: Chris Iggo © AXA Investment Managers
Steigende Anleiherenditen könnten Aktien-Neubewertung erzwingen
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