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Versorger - Fels in der Brandung oder Opfer der Energiekrise?

von Hagen Ernst, stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement bei der DJE Kapital AG

Im aktuell schwierigen Marktumfeld müssten sich Versorger als eigentlich defensiver Sektor überdurchschnittlich gut entwickeln. Jedoch war auch der Stoxx 600-Versorgerindex seit Jahresanfang leicht rückläufig. Lediglich regulierte Versorger ohne größere Risiken haben sich gut entwickeln können. Es scheint, dass die Märkte zu sehr die Risiken im Blick haben und zu wenig auch die Chancen sehen.

Primäres politisches Ziel ist es, sich möglichst schnell unabhängig von russischen Energien wie Öl, Gas oder Kohle zu machen, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss dementsprechend beschleunigt werden. Deutschland beispielsweise hat im Rahmen des sogenannten Osterpakets eine Reihe von Maßnahmen wie mehr neue Flächen für Photovoltaik und Wind sowie die Verschlankung von Planungs- und Genehmigungsverfahren beschlossen. Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus „Erneuerbaren“ bezogen werden. Von einem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien sollten neben Windturbinenherstellern wie Vestas oder Siemens Gamesa Anbieter von Erneuerbaren Energien wie Acciona Energias, EdP Renovaveis, Neoen oder Orsted profitieren. Orsted ist mit aktuell 12,7 GW Kapazität einer der größten Betreiber und gut positioniert bei größeren Windparks auf See (Offshore). Bis 2030 planen die Dänen den Ausbau der Kapazitäten auf 50 GW.

RWE zwischen Chancen durch Erneuerbare und Risiken durch Kohleembargo

Interessant ist auch RWE, die sich perspektivisch nach dem Ausstieg aus der Kohle (eventuell ist eine Abspaltung in den nächsten Jahren möglich) und Kernkraft zu einem reinen Anbieter von Erneuerbaren Energien entwickeln. Dementsprechend sollte sich der Bewertungsabschlag zu anderen Anbietern von Erneuerbaren Energien reduzieren. Zudem ist das Unternehmen mit einem Netto-Cashbestand von 360 Mio. EUR per Ende 2021 finanziell gut aufgestellt. Bereits für dieses Jahr prognostiziert RWE einen EBITDA-Beitrag von 70 Prozent aus Erneuerbaren Energien. Aktuell besitzt RWE 9,5 GW Kapazitäten an Erneuerbaren Energien und will diese wie Orsted bis 2030 auf 50 GW ausbauen. Ferner profitiert RWE teilweise von gestiegenen Strompreisen. Generell sichern die Essener nur 80 bis 90 Prozent ihrer Stromerzeugung ab. Zudem ist ein Teil der Produktion aus „Erneuerbaren“ nicht langfristig kontrahiert und kann somit zu hohen Preisen auf dem Spotmarkt verkauft werden. Im ersten Quartal lag der Strompreis im Durchschnitt bei 185 EUR/MWh. Angesichts derartig hoher Strompreise sowie einer eher konservativen Guidance für Supply & Trading könnte der Ausblick im Laufe des Jahres nochmals nach oben angepasst werden. Risiken könnten sich hingegen aus dem Kohleembargo ergeben. RWE bezieht langfristig zwölf Mio. Tonnen bzw. bis März 2023 zwei Mio. Tonnen von einem russischen Lieferanten. Unklar ist, ob hier Force Majeure greift. Sollte es sich tatsächlich um „höhere Gewalt“ handeln (schließlich ist das Embargo ja politisch gewollt, und RWE kann aufgrund dessen nicht die Kohle aus Russland beziehen), müsste RWE seiner Lieferverpflichtung nicht nachkommen. Ansonsten müsste man die Kohle anderweitig einkaufen, was sehr kostspielig sein dürfte bei einem aktuellen Kohlepreis von knapp 300 USD pro Tonne.

Auch integrierte Versorger investieren massiv in den Ausbau Erneuerbarer Energien. Die Bewertungen sind mit einem KGV für 2022 von acht für Engie, elf für Enel bzw. 16 für Iberdrola vergleichsweise moderat und die Dividendenrendite deutlich höher. Mit knapp 50 Prozent hat Iberdrola den größten Gewinnanteil aus Erneuerbaren Energien. Allein im letzten Jahr nahmen die Spanier 3,5 GW an neuen Kapazitäten in Betrieb. Weitere 7,8 GW an Kapazitäten befinden sich im Bau, davon 2,6 GW im am stärksten wachsenden Offshore-Windsegment. 46 Prozent des EBITDAs kommen zudem aus dem regulierten Netzwerkgeschäft.

Ausbau der Erneuerbaren Energien wird deutlich kostspieliger

Angesichts höherer Materialkosten unter anderem für Stahl sowie steigender Zinsen wird der Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich kostspieliger. Die Unabhängigkeit vom günstigen russischen Gas hat somit einen hohen Preis und sollte vor allem für energieintensive Branchen wie Chemie, Stahl oder Glas langfristig Standortnachteile, besonders gegenüber den USA (günstiges Öl und Gas aus Fracking) und China (zukünftiger Abnehmer des günstigen russischen Gases), mit sich bringen. Damit Strom einigermaßen bezahlbar bleibt, wird man daher nur schwer auf Atomkraft als Brückentechnologie verzichten können. Einige Länder wie Belgien oder Finnland reagieren bereits mit Verlängerung der Laufzeiten von Atomreaktoren. Damit verschafft man sich Zeit für die Energiewende. Es bleibt abzuwarten, inwiefern Deutschland folgt. Noch scheint hier kein Umdenken in Sicht bzw. zumindest tun sich die Regierungspartner in der Ampelkoalition teilweise schwer mit einem solchen Umdenken. Jedenfalls wäre die Laufzeitverlängerung der drei noch laufenden AKWs Isar I, Emsland und Neckarwestheim sowohl ökonomisch (günstige Grundlasterzeugung) als auch ökologisch (kein CO2 Ausstoß) sinnvoll. Angesichts der ohnehin schon knappen Kapazitäten und der hohen Strom- und Gaskosten wäre ein Weiterbetrieb der Reaktoren für einen beschränkten Zeitraum von z.B. fünf Jahren sinnvoll. Ansonsten müsste man die Jahresproduktion von 30 bis 35 Terawattstunden TWh (ca. fünf Prozent des deutschen Stromverbrauchs) in einem ohnehin schon sehr angespannten Markt zusätzlich ersetzen, was weiter steigende Strompreise zur Folge hätte. Theoretisch wäre auch eine Reaktivierung der bereits im letzten Jahr stillgelegten Reaktoren möglich. Dies wäre jedoch aufwändig. Die Reaktoren befinden sich bereits in der Abklingphase, so dass umfangreiche Wartungsarbeiten nötig wären. Zudem wäre eine neue Betriebserlaubnis erforderlich. Andererseits kämen zusätzlich Kapazitäten in den Markt. Diese entsprächen weiteren fünf Prozent der gesamten Stromproduktion. Dies würde sich entlastend auf den Strompreis auswirken.

Dezentraler Ausbau der Stromnetze ist entscheidend

Parallel zum Ausbau der Erneuerbaren Energien müssen auch die Stromnetze ausgebaut werden. Neben großen Stromtrassen ist ein dezentraler Ausbau der Distributionsnetze entscheidend. Hiervon sollte z.B. E.ON profitieren. Das prognostizierte nachhaltige Gewinnwachstum von drei bis fünf Prozent p.a. dürfte sich dementsprechend erhöhen. Allerdings bildet die relativ hohe Verschuldung in Höhe des fünffachen EBITDA ein gewisses Hindernis. Die Aktie ist aufgrund ihres Russlandrisikos deutlich unter Druck geraten. Die Werthaltigkeit des im Pensionsfonds liegenden Anteils an Nordstream I ist zu hinterfragen. Jedoch entspricht der Buchwert von 1,2 Mrd. EUR lediglich vier Prozent der Marktkapitalisierung. E.ON selbst bezieht zwar nicht direkt Gas von Gazprom, hat jedoch mit 380 TWh an Lieferverpflichtungen gegenüber Endkunden wie privaten Haushalten oder großen Unternehmen in Europa das größte Exposure. Da Deutschland mehr als 50 Prozent des Gasbedarfs aus Russland bezieht, ist es wahrscheinlich, dass die E.ON-Lieferanten größtenteils ausfallen würden. Sollte kein russisches Gas mehr fließen, wäre dies daher existenzgefährdend. Allerdings ist der Regierung bewusst, dass ein Gasembargo unkalkulierbare wirtschaftliche Folgen hätte und Deutschland in eine noch nie dagewesene Rezession mit schweren Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt und der dauerhaften Abwanderung ganzer, vor allem energieintensiver Industrien, zur Folge hätte.

Es bleibt die Gefahr, dass Gazprom selbst die Lieferungen einstellt. Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich, da Russland auf die Devisen angewiesen ist. Zudem kann im Gegensatz zu Kohle oder Öl kein Gas ohne vorhandene Pipelines an andere Abnehmer wie China oder Indien abgesetzt werden. Zwar ist man dabei, nach Fertigstellung der „Power of Siberia 1“-Pipeline mit einer Transportkapazität von ca. 61 Mrd. m³ nach China nun eine neue Pipeline „Power of Siberia II“ mit einer zusätzlichen Kapazität von 50 Mrd. m³ zu bauen, jedoch ist der Bau kostspielig und langwierig (die Bauzeit der ersten Gaspipeline betrug fünf Jahre).

Falls doch kein Gas mehr aus Russland fließen würde, müsste man in Deutschland zu einer Zwangsbewirtschaftung mit Rationierung des Gasbezugs für Industrieunternehmen und private Haushalte übergehen. In diesem Fall dürfte Force Majeure gelten, was dazu führen würde, dass Unternehmen wie E.ON von ihren Lieferverpflichtungen entbunden wären. Auch wäre es gar nicht möglich, sich mit derartig großen Gasvolumina einzudecken, um das russische Gas zu ersetzen.

Übertriebene Kursrückgänge

Ebenfalls übertrieben scheint der Kursrutsch bei Fortum und Uniper. Beide Unternehmen weisen zwar europaweit das größte Russlandrisiko auf. Im Gegensatz zu anderen europäischen Versorgern besitzt man Mehrheitsbeteiligungen an russischen Tochterunternehmen, die rund ein Viertel des Gewinns ausmachen. Ferner ist die Beteiligung von Uniper an Nordstream II im Wert von einer Mrd. EUR mit dem Stopp komplett abzuschreiben. Zudem bezieht Uniper rund 160 Mrd. m³ an Gas von Gazprom, was im schlimmsten Fall existenzgefährdend wäre. Hier gilt aber das gleiche wie bei E.ON. Zum einem ist es sehr unwahrscheinlich, dass es zu einem Gasembargo oder Lieferstopp seitens Russlands kommt. Zum anderen dürfte in diesem Fall Force Majeure gelten. Der Kursrückgang seit Jahresanfang von fast 50 Prozent bei beiden Versorgern erscheint daher übertrieben. Zumal beide mit ihrem hohen Anteil von Stromerzeugung aus Wasser und Kernkraft in Skandinavien von dauerhaft hohen Strompreisen profitieren dürften. Bei Uniper sollte zudem ein Aufkauf der Minderheiten seitens Fortum, die bereits mehr als 75 Prozent der Anteile besitzen, eine echte Option sein. Als Mehrheitsaktionär haftet man ohnehin für mögliche Risiken eines russischen Gaslieferstopps, könnte jedoch das aktuell günstige Niveau nutzen, um endgültig die volle Kontrolle zu gewinnen und einen Beherrschungsvertrag abzuschließen.

Fokus liegt zu stark auf den Risiken

Festzuhalten bleibt, dass der Markt sich aktuell noch vornehmend auf die Risiken fokussiert. Vor allem ein Gasembargo hätte schwere Folgen für einen Großteil der Versorger, allen voran E.ON und Uniper. Ein Lieferstopp ist jedoch wie beschrieben aufgrund der Folgen unwahrscheinlich und müsste im Falle des Falles als Force Majeure gelten. Aktuell beschränkt man sich auf ein Kohleembargo. Dabei handelt es sich mehr um Symbolpolitik, die Russland nicht wirklich schadet. Im Gegenteil: Kohle ist gut lagerfähig, und Russland kann die nicht abgenommene Kohle zum aktuellen Marktpreis von 300 USD/Tonne zum Beispiel an China oder Indien verschiffen, während der Kontraktpreis mit den deutschen Abnehmern bei geschätzt 40 bis 50 USD/Tonne liegt.  Denkbar wäre als nächster Schritt das häufig geforderte Ölembargo. Hauptprofiteure wären hier Ölkonzerne wie Total oder Royal Dutch sowie große US-Konzerne wie Chevron, Exxon, Occidential Petroleum oder Conoco Philipps. Das russische Öl würde trotz allem in China oder Indien Abnehmer finden. Immerhin hätte ein Ölembargo für Versorger keinerlei negative Auswirkungen.

Neben Embargos werden staatliche Interventionen gefürchtet. Größere Eingriffe wie eine Deckelung des Strom- oder Gaspreises scheinen jedoch nicht zu kommen. Man beschränkt sich auf kleinere nationale Eingriffe wie in Italien oder Spanien ohne größere Auswirkung für dort ansässige Versorger wie Enel oder Iberdrola. Im Fokus steht eher eine staatliche Unterstützung einkommensschwacher Haushalte, die besonders betroffen sind vom Anstieg der Strom- und Gaspreise.

So dürften sich Einstiegsgelegenheiten bieten bei Anbietern von Erneuerbaren Energien, die von einem beschleunigten Ausbau profitieren sowie bei Unternehmen, die aufgrund ihres Russlandrisikos zu stark unter Druck geraten sind. Die politisch gewollte zunehmende Unabhängigkeit von Russlands günstigen fossilen Energieträgern wird zu einem dauerhaft hohen Strompreis führen, wovon wiederum Versorger mit von fossilen Brennstoffen unabhängiger Stromerzeugung wie Wasser- oder Kernkraft profitieren sollten.

Über die DJE-Gruppe
DJE ist seit über 45 Jahren als unabhängige Vermögensverwaltung am Kapitalmarkt aktiv. Das Unternehmen aus Pullach bei München verwaltet mit rund 170 Mitarbeitern in der DJE-Gruppe über 17,4 Milliarden Euro (Stand: 31.12.2021) in den Bereichen individuelle Vermögensverwaltung, institutionelles Asset Management sowie Publikumsfonds. Zudem bietet die DJE Kapital AG seit 2017 mit Solidvest eine einzeltitelbasierte Online-Vermögensverwaltung an – als digitale Lösung im Rahmen aktiv gemanagter Depots. Das Online-Konzept basiert auf den breiten Kompetenzen in Vermögensverwaltung und Anlagestrategie der DJE Kapital AG – und ermöglicht ein diversifiziertes Portfolio nach individuellem Rendite-Risiko-Profil mit persönlichen Themenschwerpunkten im Aktienbereich. Vorstandsvorsitzender ist Dr. Jens Ehrhardt, sein Stellvertreter Dr. Jan Ehrhardt. Kern des Anlageprozesses und aller Investmententscheidungen ist die FMM-Methode (fundamental, monetär, markttechnisch), welche auf dem hauseigenen, unabhängigen Research basiert. Der Anspruch der DJE Kapital AG ist, ihren Kunden weitsichtige Kapitalmarktexpertise in allen Marktphasen zu bieten.

www.fixed-income.org
Foto: Hagen Ernst © DJE Kapital AG


 

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