Der US-Zinsmarkt erlebte kürzlich eine Phase erhöhter Volatilität. Ausgelöst wurden die Schwankungen, da Investoren die sinkende Wahrscheinlichkeit einer sogenannten „harten Landung“ verarbeiteten und ihre Zinsposition entsprechend anpassten. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich zu betrachten, wie sich die Zinskurve im Laufe der Zeit verändert hat. Dabei steht besonders im Fokus, wie ausgeprägt die Inversion der Zinskurve aktuell ist und wie sich vergleichbare Situation in früheren Normalisierungsphasen wieder auflösten.
Das untenstehende Schaubild zeigt den US-Leitzins „Fed Funds Rate“, die Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen, zehnjähriger US-Staatsanleihen und als schraffierten Bereich die Renditedifferenz zwischen zwei und zehnjährigen US-Staatsanleihen seit Beginn der verfügbaren Daten. Dabei fallen einige interessante Punkte auf.
Beobachtungen zur Zinskurve
Erstens: Invertierte Zinskurven sind relativ selten und normalisieren sich im Laufe der Zeit. Zudem war der Spread (der schraffierte Bereich) in den letzten 47 Jahren nur in 3,5 Prozent der Zeit negativer ausgeprägt als aktuell mit etwa minus 75 Basispunkten. Zugleich dauert die derzeitige Inversionsphase im historischen Vergleich bereits relativ lang.
Zweitens: Bei der Rückkehr der inversen Zinskurve zu einer positiven Steigung war in früheren Phasen jeweils die Rendite zweijähriger US-Staatsanleihen für den Großteil der Korrektur ausschlaggebend. Mit anderen Worten: Die Normalisierung ist in der Regel das Ergebnis einer geldpolitischen Lockerung, die die Kurzfristzinsen nach unten drückt. Außerdem bewegen sich die Zwei- und Zehnjahresrenditen (und auch die Fed Funds Rate) meist in dieselbe Richtung. Änderungen in der Steigung der Zinskurve sind daher darauf zurückzuführen, dass sich das Ausmaß der Bewegungen zwischen Lang- und Kurzfristzinsen unterscheidet. Die vergangenen Wochen waren insofern ungewöhnlich, als der negative Spread von minus 100 auf minus 75 Basispunkte sank, wobei die Zweijahresrenditen weitgehend unverändert blieben, während die Zehnjahressätze stiegen. Ob sich dieser ungewöhnliche Trend fortsetzt, muss sich zeigen, aber natürlich sind die Triebkräfte dieses Mal nicht unbedingt die gleichen wie in früheren Zyklen.
Drittens: Das Ausmaß der Inversion hat weniger damit zu tun, wie tief eine Rezession ist, sondern eher wie aggressiv die Fed angesichts einer Rezession die Geldpolitik lockert. So war beispielsweise die globale Finanzkrise 2008 und 2009 eine der schwersten globalen Rezessionen der modernen Geschichte, und die Zinskurve invertierte sich kaum, während sie sich in der Coronakrise 2020 überhaupt nicht invertierte.
Mögliche Wege zur Normalisierung
Wenn die Lehre der Geschichte sich bewahrheitet, wird sich die aktuelle Inversion irgendwann auflösen. Die Frage ist nur, wie dieser Prozess ablaufen und wie lange er dauern wird.
In den Prognosen scheint sich derzeit das Szenario durchzusetzen, in dem die Inflation weiter zurückgeht, die Rezession in den USA ausfällt oder sehr mild verläuft, das Wachstum aber deutlich unter dem Trend bleibt. In der Folge dürfte die US-Notenbank in nicht allzu ferner Zukunft mit Zinssenkungen beginnen, was zu einem Rückgang der zweijährigen Renditen führt, der stärker ausfallen kann als der Rückgang der Zehnjahresrenditen. Mit der Zeit löst sich die Inversion damit auf. Da die Zehnjahresrenditen aktuell deutlich über dem vermeintlich neutralen Niveau liegen, besteht unseres Erachtens Spielraum für eine Rallye, wenn auch vielleicht keine besonders ausgeprägte.
Am anderen Ende des Möglichkeitsspektrums hin zur Normalisierung der Zinskurve könnte ein unvorhergesehener exogener Schock die US-Wirtschaft in eine echte Rezession stürzen. In diesem Szenario senkt die Fed die Zinssätze rasch, der Zweijahreszins folgt fast unmittelbar, während die Rallye zehnjähriger Staatsanleihen irgendwann ins Stocken gerät, wenn die Fed die Talsohle des Zyklus erreicht und die Laufzeitprämie zu wirken beginnt. Dies ist vergleichbar mit dem, was nach der Covid-Krise geschah, als sich die Kurve überhaupt nicht umkehrte.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass die Wirtschaft tatsächlich mit den aktuellen Zinssätzen zurechtzukommt, die Rezession ausbleibt und das Wirtschaftswachstum trotz der aktuellen Zinssätze zu seinem Potenzial zurückkehrt. In diesem Fall wäre der plausibelste Weg für eine Normalisierung der Zinskurve, dass die Zehnjahresrenditen stärker steigen als die Zweijahresrenditen und die Zentralbank in diesem Szenario die Leitzinsen «higher for longer“ hält. Dieser Fall wäre – wie bereits angemerkt – sehr merkwürdig.
Zweifellos gibt es viele weitere Szenarien, etwa wenn es zu einem Wiederanstieg der Inflation kommt. Seit Mitte der 1970er Jahre war die Zinskurve aber überhaupt nur über 15 Prozent der Zeit invertiert. Wir gehen fest davon aus, dass sich die aktuelle Inversion mit der Zeit auflösen wird. Die Art und Weise der Normalisierung wird ein wichtiger Faktor für die Gesamtrendite von Rentenportfolios sein. Wir gehen zudem davon aus, dass eine mögliche Rezession nur mild ausfallen dürfte.
Zehnjährige US-Staatsanleihen mit Potenzial
In Anbetracht der inversen Kurve, der Tatsache, dass die Inflation unter Kontrolle scheint, und dass wir nicht davon ausgehen, dass das Wachstum bei diesen hohen Zinssätzen zum Trend zurückkehrt, neigen wir zu der Ansicht, dass zehnjährige US-Treasuries eine nicht zu teure Absicherung für festverzinsliche Portfolios darstellen. Das Risikoverhältnis erscheint uns günstig. Größere Ausverkäufe könnten entweder durch ein plötzliches Wiederaufleben der Inflation und der Gesamtnachfrage verursacht werden oder durch die Fähigkeit der Wirtschaft, bei den höchsten geldpolitischen Zinssätzen seit 20 Jahren zu einem Trendwachstum zurückzukehren. Beides erscheint zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich, während ein Wachstum knapp über Null die Wirtschaft in eine anfällige Lage bringt. Schließlich ist die Zehnjahresrendite mit 4 Prozent so hoch wie seit Jahren nicht, und wenn sich die Inflation weiter in Richtung des Zielwerts der US-Notenbank bewegt, erscheinen solche Renditen von zehnjährigen US-Staatsanleihen unserer Meinung nach wieder attraktiv.
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Foto: Felipe Villarroel © TwentyFour Asset Management
Inverse US-Zinskurve: Warum zehnjährige US-Staatsanleihen-Renditen attraktiv scheinen
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