Das Koalitionsspiel in Deutschland gleicht mehr und mehr einer Reise nach Jerusalem, so dass jede Art von Vorhersage im Moment schwierig erscheint.
Viele neigen dazu, zu vergessen, dass die Anzahl der Sitze im Bundestag variabel ist: Je nach Ergebnis könnte die Anzahl der Sitze auf 900 steigen (im Vergleich zu 706 heute). Die letzten Schätzungen gehen von 759 Sitzen aus, wobei die SPD die stärkste Fraktion im Parlament würde. Was die Koalitionsoptionen angeht, so ist eine große Koalition (SPD/CDU/CSU) weiterhin möglich, würde aber nur eine sehr knappe Mehrheit erhalten. Wahrscheinlicher ist, dass die Koalition aus drei oder mehr Parteien besteht, wodurch sich die Zahl der möglichen Kombinationen um ein Vielfaches erhöht.
Wenn die CDU/CSU Teil einer großen Koalition ist, wird es keinen massiven Wechsel in der Finanzpolitik in Deutschland oder der EU geben. Der einzige Unterschied könnte darin bestehen, dass die CDU/CSU in Deutschland nicht so schnell zu einer strikten finanzpolitischen Orthodoxie zurückkehren kann, wie sie es sich erhofft hat. Wenn die SPD allerdings schließlich den Ton angibt, wird es wahrscheinlich einen radikalen Meinungsumschwung in Bezug auf das Haushaltsdefizit, die europäische Integration und grüne Reformen geben. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass ein solch radikaler Wandel stattfinden wird, und das Ergebnis dürfte wohl irgendwo in der Mitte liegen.
Bundesanleihen bleiben stabil, aber die Erhöhung der Haushaltsausgaben könnte alle EU-Zinskurven bewegen
Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Deutschland einen Kurswechsel in der Finanzpolitik beschließt, ist das Land immer noch in einer viel besseren Verfassung als beispielsweise Frankreich. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Alternative als sicheren Hafen für europäische Staatsanleihen als Bundesanleihen. Daher werden sich die Renditen von Bundesanleihen im Vergleich zu denen der Nachbarländer nicht massiv bewegen. Eine Erhöhung der Steuerausgaben dürfte sich jedoch deutlich auf den gesamten Staatenverbund auswirken, indem sie Bewegungen in allen Renditekurven auslösen und die „Reflations?-Erwartungen in Europa antreiben dürfte. Die EZB würde das begrüßen, da ihre Inflationsziele dann schneller erreicht würden, wodurch beispielsweise Quantitative Lockerungen überflüssig würden.
Europäische Staatsanleihen unattraktiv
Europäische Staatsanleihen sind derzeit weniger attraktiv, da sich das Wachstum in Europa bis zum Jahresende besser entwickeln dürfte als im Rest der Welt, was zu Veränderungen in der EZB-Politik führen sollte. Die EZB dürfte eine entspanntere Haltung einnehmen und den Renditen Raum geben zu steigen. Die Ergebnisse der deutschen Wahlen werden diesen Kurs nicht ändern, sodass es keine dauerhaften Auswirkungen auf die Rentenmärkte geben wird.
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Foto: Ludovic Colin © Vontobel
Marktkommentar Bundestagswahl - europäische Anleihemärkte dürften das deutsche Wahlergebnis gelassen hinnehmen
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