Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer der ODDO BHF SE, kommentiert wöchentlich was die Märkte bewegt. In dieser Ausgabe setzt er sich mit den attraktiven Anleiherenditen, die sich auf langjährigen Höchstständen bewegen, auseinander. Für die Aktienmärkte hingegen überwiegt noch die Zurückhaltung:
„…US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit rentierten im Durchschnitt des Monats Oktober bei 4,8 Prozent. Im Euroraum lagen die entsprechenden Renditen zwischen 2,9 Prozent für Bundesanleihen und 4,8 Prozent für italienische BTPs. Für Anleiheinvestoren, die an die schmale Kost der vergangenen Jahre gewöhnt sind, ist dies ein reich gedeckter Tisch. Sollte man die Einladung an diesen Tisch annehmen? Die Vorsicht der Anleger kommt nicht von ungefähr, denn in den Jahren 2022/23 haben Anleihen unter den hochschnellenden Renditen erheblich gelitten…
Spricht die Erfahrung der letzten Zeit also gegen Anleihen? Nach unserer Einschätzung nicht. Wir möchten fast sagen: Im Gegenteil. Der heftige und folgenschwere Renditeanstieg hat die Renditen auf ein Niveau katapultiert, welches man auch im langfristigen Maßstab als attraktiv bezeichnen kann. Hinzu kommt: Die Inflationsraten sinken. Im Euroraum ist die Gesamtrate im Oktober leicht unter 3 Prozent gesunken, und auch die sogenannte Kernrate (ohne Energie und Nahrungsmittel) geht langsam zurück (aktuell 4,2 Prozent). Diese Inflationsraten sind aus stabilitätspolitischer Sicht nicht befriedigend, doch die Bewegung geht in die richtige Richtung.
Der Einlagensatz der EZB steht auf dem höchsten Niveau seit Gründung der Währungsunion. Die Straffung der Geldpolitik wirkt, und rechtfertigt, dass die Notenbank von „Erhöhen“ auf „Halten“ wechselt. Zudem führt der Rückgang der Inflation dazu, dass auch die inflationsbereinigten Renditen steigen. Mit Anleihen lassen sich inzwischen wieder positive reale Renditen erzielen.
In Europa hat das Wachstumstempo deutlich nachgelassen. Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass sich die aktuelle Schwächephase weit ins nächste Jahr zieht. In den USA erscheint die Situation noch etwas offener. Insbesondere der private Konsum entwickelte sich bis zuletzt kräftig, und der Arbeitsmarkt ist nach wie vor eng. Die meisten Beobachter rechnen jedoch damit, dass die Bremswirkungen der höheren Finanzierungskosten mehr und mehr sichtbar werden. Dies gilt insbesondere für zinssensible Bereiche wie den Immobiliensektor und für hochverschuldete Unternehmen...
Mit der Verlangsamung des Wachstums und dem Rückgang der Inflation kommt die Geldpolitik ihrem Ziel der Eindämmung der Inflation näher. Die Notwendigkeit weiterer Zinserhöhungen sinkt. In den USA hat der Offenmarktausschuss am vergangenen Mittwoch die Leitzinsen unverändert bei 5,3 bis 5,5 Prozent belassen. Die amerikanische Notenbank schließt eine weitere Zinserhöhung nicht aus. Aus Anlegersicht entscheidend ist jedoch, dass der Zinshöhepunkt zumindest nahe sein dürfte.
Nach unserer Einschätzung ist dies eine gute Phase, in Anleihen zu investieren. Wir verlängern die Duration in unseren Portfolien schrittweise. Auf diese Weise sichern wir uns die deutlich gestiegenen Anleiherenditen für eine längere Zeit. Zum anderen bietet sich die Chance, von fallenden Renditen und steigenden Anleihekursen in der Zukunft zu profitieren. Gerade nach einer Zeit hoher Verluste ergeben sich an den Märkten oft interessante Einstiegsmöglichkeiten. Wenn die wirtschaftliche Schwächephase anhält und die Inflationsraten sinken, dürften die Zentralbanken irgendwann – vermutlich in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres - über ein vorsichtiges Absenken der Leitzinsen nachdenken.“
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Foto: Prof. Dr. Jan Viebig © ODDO BHF
ODDO BHF CIO View: Leitzinserhöhungen laufen aus - Anleihen im Fokus
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