Ist der Megatrend ESG am Ende? Der Ukrainekrieg hat auf jeden Fall einen Einschnitt gebracht. Die Aufstellung muss neu überdacht werden.
In einer Welt, die zunehmend von ökologischen und sozialen Herausforderungen geprägt ist, hat sich das nachhaltige Investieren zu einem zentralen Anliegen für Investoren und Unternehmen entwickelt. Der Trend hin zu Investments, die nicht nur finanzielle, sondern auch nachhaltige Werte generieren, reflektiert ein wachsendes Bewusstsein über die Verantwortung des Finanzsektors gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt. Zum Jahr 2023 hat das Volumen nachhaltig verwalteter Vermögen weltweit 35,3 Billionen Dollar erreicht, was mehr als ein Drittel aller Vermögenswerte in den fünf größten Märkten der Welt entspricht. Das zeigt: Nachhaltigkeit in der Finanzbranche ist nicht aus der Mode zu bringen.
Gleichzeitig existiert nicht erst seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine Identitätskrise bezüglich des Labels „ESG-Konform“. Die Regulatoren in den USA und in Europa erarbeiten gerade Richtlinien, um die Gefahr des Missbrauchs des Nachhaltigkeitsanspruches, sogenanntes Greenwashing, zur Kundengewinnung einzudämmen. Sie wollen Standards und Vorschriften einführen, die eine bessere Messbarkeit und Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsleistungen ermöglichen.
Die EU-Regulierung, die bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten als nachhaltig klassifiziert, ist für ESG-Puristen ein Schritt in die falsche Richtung. Die Einbeziehung von Unternehmen der Gas- und Atomenergie in die Liste der nachhaltigen Investments hat zu kontroversen Diskussionen geführt. Diese Entscheidung unterstreicht die Komplexität und die Herausforderungen bei der Definition von Nachhaltigkeit in einem sich ständig wandelnden geopolitischen und wirtschaftlichen Kontext.
Der Ukraine-Krieg hat diese Komplexität weiter vergrößert, indem er die Rolle der Rüstungsindustrie im Licht von Freiheit und Demokratie neu bewertet und somit die traditionellen ESG-Ausschlusskriterien in Frage stellt. Die Diskussion ist entbrannt: Bisher galten Investitionen in Aktien von Unternehmen, die mit Waffen, Kohle, Tabak, Pornografie, Glücksspiel und Ölsand als nicht nachhaltig. Nicht ganz zu Unrecht wird gerade die Frage diskutiert, ob ein Waffenhersteller nicht im Sinne von Freiheit, Demokratie und Menschenrechte handelt, wenn er zur Verteidigung ebendieser Werte in der Ukraine Waffen liefert. Ist das ESG-konform? Dürfen große Fonds, die nachhaltig investieren, zukünftig auch in Waffen investieren? Per se sind Rüstungshersteller nicht von der „Nachhaltigkeit“ ausgeschlossen. Einzelne Konzerne werden von der Ratingagentur „Sustainalytics“ bewertet. So erreichen Airbus und Rheinmetall eine mittlere Risikoeinstufung und der Waffentechniker Hensold eine tiefe.
Interessant ist auch: Bis zum Beginn des Ukraine-Krieges 2022 war die Performance von „nachhaltigen Fonds“ besser als der von „nicht nachhaltigen“. Das Gleiche galt auch für an entsprechende Indizes orientierte ETFs. Im Jahr 2022 verbuchte der MSCI-World-SRI-Index einen Verlust von 22,1%. Der Index ohne das Kürzel SRI (Socially Responsible Investment) verlor lediglich 17,7%.
Der MSCI-World-SRI-Index notierte Anfang 2023 bei knappen 2500 Punkten und Anfang 2024 bei 3060. Eine Steigerung um rund 22 %. Der Vergleichsindex, der nicht auf nachhaltige Aktien fokussiert ist, startete ins Jahr bei knappen 2650 Punkten und endete bei rund 3120 Punkten. Eine Steigerung um rund 18%. Möglicherweise ist hier die Anpassung der Richtlinien für Nachhaltigkeit ein Performancetreiber, die sich auch in den meistens ESG-Konformen-ETFs niedergeschlagen hat. Der iShares Global Clean Energy Ucits ETF verlor von seinem Höchststand 2021 sogar mehr als 50 %. Ist das Geld nun nachhaltig weg oder ist es sinnvoll der alten Kostolany-Weisheit zu folgen und abzuwarten?
Der Hauptgrund für die schlechtere Performance im schwierigen Börsenjahr 2022 lag in der Branchenzusammensetzung. Die ESG-Indizes sind traditionell stärker in IT- und Technologieunternehmen positioniert. Dagegen sind sie in den Ölaktien unterrepräsentiert, die aber 2022 ausnahmslos eine gute Performance gezeigt haben.
Nachhaltigkeit und ESG ist ein weltweites Thema. Dementsprechend sollte unser Augenmerk sich erneut auch unter diesem Aspekt in Richtung der USA und den dortigen Präsidentschaftswahlen richten. Nachhaltigkeit ist in Nordamerika zum Spielball der politischen Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Demokraten geworden. In Florida ist es Pensionskassen verboten nach ESG-Richtlinien zu investieren. In Texas werden führende Asset-Manager an Geschäften gehindert, weil sie angeblich Energieunternehmen boykottieren.
Letztlich ist die Debatte um ESG-Investitionen und ihre Rolle in aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen ein Spiegelbild der Suche nach einem ausgewogenen Weg, der ökonomische, ökologische und soziale Ziele in Einklang bringt. Die Entwicklung von klaren konsistenten ESG-Standards bleibt eine zentrale Aufgabe, um das Vertrauen in nachhaltige Investitionen zu stärken und deren Beitrag zur zukünftigen Welt zu maximieren. Fundamentale Analyse wird noch mehr an Bedeutung erlangen – auch bei der Auswahl der nachhaltigen Investments.
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Foto: Kai Jordan © mwb Wertpapierhandelsbank AG
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