In den vergangenen Wochen wurde die Münchener Restrukturierungsberatung One Square Advisory von schweren Schlägen erschüttert: Zum einen wurde der branchenbekannte Gesellschafter und Geschäftsführer Frank Günther („Mister Mittelstandsanleihe“) auf Initiative der Staatsanwaltschaft München in Untersuchungshaft genommen; sodann folgte auch die Verhängung von Untersuchungshaft gegen den zweiten Gesellschafter und Geschäftsführer, Wolf Waschkuhn. Damit ist die One Square-Gruppe derzeit führerlos.
Die Inhaftnahme von Frank Günther soll in erster Linie mit dem umstrittenen Anleiheschnitt bei der Sympatex-Anleihe zu tun haben. Hier wird wegen des Verdachts des Betrugs, der Marktmanipulation und der Untreue ermittelt. Die Vorwürfe, die zur Inhaftnahme von Wolf Waschkuhn führten, aber ebenfalls Frank Günther betreffen, scheinen nicht auf eine einzelne Anleihe bezogen, sondern breiter angelegt zu sein: Es geht um die mögliche Falschverwendung von Quotenauszahlungen aus Insolvenzverfahren, die One Square Advisory vereinnahmt, aber nicht weitergeleitet haben soll. Außerdem dürfte das umstrittene Insolvenzverfahren der Lichtmiete-Gruppe in den strafrechtlichen Ermittlungen eine Rolle spielen: Bei Lichtmiete haben es die One Square-Verantwortlichen geschafft, der ihnen selbst gehörenden Fortführungsgesellschaft Novalumen GmbH sämtliche werthaltigen Assets aus der Insolvenzmasse zuzuschanzen, ohne einen Cent Barkaufpreis zu entrichten. Das ist schon beispiellos: Eine mutmaßlich dreistellig millionenschwere Insolvenzmasse verschwindet in den Taschen der „Restrukturierer“, ohne dass die Insolvenzgläubiger auch nur einen einzigen Cent Quotenauszahlung erhalten. Wäre es ein Zaubertrick, so wäre es eines David Copperfields würdig.
Selbstverständlich gilt für beide Beteiligten die Unschuldsvermutung. Dennoch ist die Frage zu stellen, was aus den zahlreichen Insolvenzverfahren und sonstigen Restrukturierungssituationen werden soll, in denen One Square Advisory die wichtige Rolle des Gemeinsamen Vertreters der Anleihegläubiger bekleidet. Dort sind die Anleihegläubiger jetzt de facto ohne Vertretung. Mag auch die bisherige Vertretung durch One Square Advisory Anlass zur Kritik gegeben haben, oder nun sogar zum Einschreiten der Staatsanwaltschaft, so stellt sich doch die Frage: Was soll nun werden?
Eine kuriose – aber nicht kleine – Untergruppe stellen diejenigen Verfahren dar, in denen die Rolle des Gemeinsamen Vertreters nach Meinung der One Square-Gruppe derzeit bei einer Schweizer Tochtergesellschaft liegen soll, der One Square Advisory Services S.à r.l. mit Sitz in Genf. Wie konnte es zu dieser kuriosen Situation kommen? Betrachten wir es chronologisch:
▪ Eine Reihe von Mandaten als Gemeinsamer Vertreter lag ursprünglich bei der in München ansässigen One Square Advisory Services GmbH. Diese war in Anleihegläubigerversammlungen gewählt oder bereits in den ursprünglichen Anleihebedingungen als Gemeinsame Vertreterin bestellt worden.
▪ Diese One Square Advisory Services GmbH wurde mit Gesellschafterbeschluss vom 03.07.2020 formwechselnd in die One Square Advisory Services GmbH & Co. KG umgewandelt, ebenfalls mit Sitz in München.
▪ Einzige Kommanditistin dieser KG wurde die One Square Advisory Services S.à r.l. mit Sitz in Genf. Komplementärin war die One Square Advisors GmbH.
▪ Bereits im Oktober 2020 trat die One Square Advisors GmbH wieder aus der One Square Advisory Services GmbH & Co. KG aus. Dadurch war diese Gesellschaft aufgelöst.
▪ Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat das Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters aus einer – wie hier – zweigliedrigen Personengesellschaft zur Folge, dass diese liquidationslos vollbeendigt wird und das Vermögen der Gesellschaft dem letztverbliebenen Gesellschafter anwächst. Dieser letztverbliebene Gesellschafter ist die in Genf ansässige One Square Advisory Services S.à r.l. Diese erwarb im Wege der Anwachsung sämtliche Vermögenswerte der nunmehr beendigten KG.
▪ Damit stellt sich die Frage: Sind auch die Bestellungen als Gemeinsamer Vertreter, die bis Oktober 2020 zunächst bei One Square Advisory Services GmbH und sodann bei der KG lagen, auf die Schweizer Gesellschaft übergegangen?
Nach Meinung der One Square-Gruppe soll das in der Tat der Fall sein. One Square will die Mandate weiterhin über die Schweizer Gesellschaft wahrnehmen. Es gibt allerdings gravierende Gründe, die dagegen sprechen: Zum einen erlöschen Auftragsverhältnisse – und darunter ist das Amt als Gemeinsamer Vertreter zu subsumieren – mit dem Tode des Auftragnehmers; es erscheint naheliegend, das Ende einer Personengesellschaft mit dem Tod eines Menschen gleichzustellen und die gleiche Rechtsfolge auszusprechen. Wichtiger aber noch ist folgende Überlegung: Kann das anspruchsvolle Amt des Gemeinsamen Vertreters überhaupt nach grenzüberschreitender Anwachsung durch eine ausländische Gesellschaft angemessen ausgeübt werden? Neben der Frage, ob eine ausländische Gesellschaft dafür angemessen qualifiziert sein kann, stellen sich ernste Fragen der grenzüberschreitenden Kontrolle und der Rechtsverfolgung im Ausland. Der Gemeinsame Vertreter wird nach den gesetzlichen Regelungen den Anleihegläubiger zwangsweise vor die Nase gesetzt und nimmt deren Rechte wahr, ob sie es nun wollen oder nicht: Kann eine solche Verantwortung ernstlich von einer Schweizer Gesellschaft wahrgenommen werden, auf die deutsche Gerichte und Behörden selbst bei evidenten und gravierenden Pflichtversäumnissen keinen Zugriff haben?
Daher sprechen die besseren Gründe dafür, im Falle der grenzüberschreitenden Sitzverlegung bzw. Anwachsung – hier: in die Schweiz − von einem Erlöschen des Amtes des Gemeinsamen Vertreters auszugehen. So hat es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg im Falle der Rickmers-Anleihe entschieden. Dort war nach Meinung von One Square das Amt des Gemeinsamen Vertreters qua Anwachsung auf die One Square Advisory Services S.à r.l. übergegangen. Anders beurteilte dies jedoch das Amtsgericht Hamburg. Das Amtsgericht Hamburg hat durch Beschluss vom 27.10.2023 ausgesprochen, dass die Rickmers-Anleihe keinen Gemeinsamen Vertreter mehr habe und ein neuer Gemeinsamer Vertreter zu bestellen sei. Dies ist in der daraufhin einberufenen Gläubigerversammlung am 10.01.2024 auch geschehen (noch nicht rechtskräftig, weil One Square mit den wenigen eigenen Stimmen dagegen Anfechtungsklage erhoben hat – mit einem Abschluss des Verfahrens und einer Aufrechterhaltung des Beschlusses des Amtsgerichts dürfte aber zeitnah zu rechnen sein).
Diese Entscheidung verdient Zustimmung. Das heißt: In den Fällen, in denen derzeit die Schweizer Gesellschaft tätig ist, gibt es in Wahrheit keinen Gemeinsamen Vertreter mehr. Daher sollten schnellstmöglich Gläubigerversammlungen einberufen und neue Gemeinsame Vertreter bestellt werden.
Aber auch in den Fällen, in denen sich One Square nicht des Amtsübergangs qua Anwachsung auf die Schweizer Gesellschaft berühmt, sondern weiter durch eine deutsche Gesellschaft handelt, stellt sich die Frage nach der Einberufung von Gläubigerversammlungen und nach der Wahl eines neuen Gemeinsamen Vertreters. Denn die Kritik an der Arbeit von One Square ist in den vergangenen Jahren immer lauter geworden, und es handelt sich keineswegs nur um die Stimmen kleinkarierter Neider. Mag die „Selbstbedienung“ an sämtlichen Assets der Insolvenzmasse, wie bei der Lichtmiete geschehen, auch nur die Spitze eines Eisbergs sein, so häufen sich doch die Fälle, in denen Kritik an One Square geäußert wurde, die niemals entkräftet werden konnte. Beispielsweise hat One Square bei einer Reihe von Anleihen die Auszahlung der Quoten an die Anleihegläubiger auf dem üblichen Weg über die vertraglich vereinbarte Zahlstelle bzw. über Clearstream einstellen lassen und stattdessen Zahlung an sich selbst verlangt. Sodann mussten sich die Anleihegläubiger mit den erforderlichen Nachweisen bei One Square melden und ihre persönliche Quote einfordern. Diese Quote haben sie sodann – abzüglich der Kostenbelastungen, die One Square nach eigenem Ermessen vornahm – auch erhalten. Was aber ist mit den Gläubigern, die sich niemals melden? Nach Marktschätzungen dürfte es im Regelfall mindestens ein Drittel der Anleger sein, die das Einfordern ihres Quotenanspruches versäumen. Verbleiben diese Gelder für immer bei One Square? Jedenfalls ist eine Abrechnung oder eine Rückauskehr an die Masse niemals erfolgt. Konkret untersucht werden, so hört man, die Fälle der Rickmers-Anleihe und die S.A.G. Solarstrom, aber es dürften auch andere Anleihen betroffen sein. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München betreffen insgesamt vier Tatkomplexe, von Betrug und Marktmanipulation bis zu Untreue und Unterschlagung.
Fazit:
Generell verdichtet sich der Eindruck, dass One Square mit den beträchtlichen Machtbefugnissen, die der Gesetzgeber dem Gemeinsamen Vertreter einräumt, sehr freizügig und eigennützig umgeht. Wenn sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München verdichten, könnte sogar die Schwelle zu Straftaten überschritten sein. Ein solches Verhalten des Gemeinsamen Vertreters, der vom Gesetz mit sehr weitreichenden Befugnissen ausgerüstet ist und weitreichend in die Rechte der Anleihegläubiger eingreifen kann, ist komplett untragbar. Daher sollte One Square auch dort abberufen werden, wo nicht die Schweizer Gesellschaft tätig ist – die ohnehin als Zwangsvertreter der Anleihegläubiger in einem hoheitlich geregelten deutschen Verfahren nicht satisfaktionsfähig ist −, sondern wo noch eine deutsche One Square-Gesellschaft das Amt innehat. Einen entsprechenden Antrag können Gläubiger, die zusammen 5% des Kapitals halten, jederzeit stellen. Und das sollten die Gläubiger auch tun. Kleinanleger, die allein das Quorum nicht erreichen, können und sollten sich dazu Hilfe bei erfahrenen Organisationen wie der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) und/oder bei einschlägig erfahrenen Anwaltskanzleien holen.
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