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„Es geht auch ohne Euro-Bonds“

Interview mit Dr. Daniel Hartmann, Senior Analyst Economics des Anleihenmanagers Bantleon

Auch der gehebelte Rettungsschirm reicht nicht aus, um die Schuldenkrise der Eurozone zu lösen. Anstatt auf eine weitere Aufblähung des Rettungsschirms oder gar Eurobonds zu setzen, ist der weitere Kauf von Staatsanleihen durch die EZB eine gute Alternative, meint Bantleon-Analyst Daniel Hartmann. Damit könnte den potentiellen Stützungskandidaten Italien und Spanien geholfen und der Druck auf die Märkte aufrecht erhalten werden – ohne Inflationsgefahr.

Herr Hartmann, reicht der gehebelte Rettungsschirm aus?

Daniel Hartmann: So gewaltig diese Summe in den Ohren vieler Bürger und Politiker klingen mag, zur Stabilisierung der Eurozone reicht sie nicht aus – zu mächtig ist der Refinanzierungshunger der großen Euroländer. Müssten Spanien und Italien über längere Zeit gestützt werden, wäre das Geld bereits Anfang 2014 verbraucht. Es dauert mindestens zwei bis drei Jahre, bis die notwendigen Strukturreformen Früchte tragen und die Euroländer nachhaltige Fortschritte in der Haushaltskonsolidierung vorweisen können. Diese Zeit muss überbrückt werden, was in den Augen vieler Ökonomen und Politiker bedingungslose EZB-Interventionen erforderlich macht.

Wie viel Geld wäre nötig, um die potentiellen Stützungskandidaten der Eurozone zu retten?

Hartmann: Potentielle Stützungskandidaten sind derzeit Italien und Spanien. Der Refinanzierungsbedarf dieser beiden Länder beträgt jährlich etwa 550 Mrd. EUR, also durchschnittlich 46 Mrd. EUR pro Monat. Geht man davon aus, dass zumindest die Bill-Auktionen noch in Eigenregie durchgeführt werden können, müsste die EZB Staatsanleihen in Höhe von ca. 40 Mrd. EUR pro Monat bzw. 10 Mrd. pro Woche ankaufen. Dieses Volumen ist gar nicht so weit weg von der aktuellen Handhabung. Seit Mitte August 2011 erwarb die EZB durchschnittlich für 8 Mrd. EUR Wertpapiere. Wird zusätzlich angenommen, dass Italien und Spanien etwa drei Jahre benötigen, um das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen, müsste der 40-Mrd.-EUR-Rhythmus bis Ende 2014 durchgehalten werden. Somit würde sich ein Staatsanleihenportfolio von knapp 1.700 Mrd. Euro auftürmen. Unterstellt man in dieser Periode ein durchschnittliches nominales Wachstum der Eurozone von 2,5 %, wären dies 16 % des Bruttoinlandsproduktes der Währungsunion.

Sind damit nicht unkalkulierbare Risiken verbunden?

Hartmann: Zunächst zeigt der Vergleich mit anderen Notenbanken, dass die EZB mit einem Ankaufvolumen von 1.700 Mrd. EUR oder 16 % des BIPs kein außergewöhnliches Programm umsetzen würde. Die Fed hat in den vergangenen drei Jahren immerhin Treasuries im Umfang von 1.200 Mrd. USD erworben und damit den Gesamtbestand auf 1.670 Mrd. USD aufgestockt, was knapp 11 % des BIPs entspricht. Im Vergleich mit Japan und Großbritannien wäre das Engagement der EZB im Verhältnis zur Wirtschaftskraft sogar geringer. Die Bank of England besitzt Staatsanleihen im Volumen von 225 Mrd. GBP und strebt eine Aufstockung auf 275 Mrd. GBP an, was 18 % des BIPs entspricht. Unterdessen sitzt die Bank of Japan auf einem Stapel von Staatsbonds im Volumen von 91.000 Mrd. Yen, was knapp 20 % des japanischen BIPs entspricht. Und auch dort ist das laufende Ankaufprogramm noch nicht ausgereizt. Alles in allem würde die EZB kein größeres Risiko eingehen als viele andere Notenbanken.

Was würde passieren, wenn Italien und Spanien um einen Schuldenschnitt von 50 % nicht herumkämen?

Hartmann: Die Deutsche Bundesbank hätte Ende 2014 Wertpapiere in Höhe von ca. 460 Mrd. EUR in ihren Büchern, 27 % von 1.700 Mrd. EUR – für diesen Betrag würde sie auch haften. Es entstünde folglich bei einem Schuldenschnitt von 50 % ein Abschreibungsbedarf von 230 Mrd. EUR. Nach heutigem Stand könnten davon 120 Mrd. EUR über das Eigenkapital der Bundesbank abgefangen werden, was der Vernichtung der deutschen Goldreserven gleichkäme. Die restlichen 110 Mrd. EUR müssten als Verlust ausgewiesen werden. Ein kleiner Trost liegt darin, dass keine Verpflichtung besteht, diesen Verlust sofort auszugleichen. Um den Verlust abzutragen, würde die Bundesbank allerdings auf Jahrzehnte hinaus keinen Gewinn mehr ausschütten, der seit 2000 immerhin bei durchschnittlich 4,2 Mrd. EUR lag und dem Finanzminister beim Stopfen von Haushaltslöchern half. Letztendlich würde also doch der Steuerzahler den Verlust tragen.

Treibt die EZB mit weiteren Käufen von Staatsanleihen nicht die Inflation?

Hartmann: Nein, auch wenn in Deutschland Erinnerungen an das Jahr 1923 wach werden. Dieser Vergleich hinkt an mehreren Stellen. Dies betrifft zunächst die Dimensionen der Geldschöpfung. Wenn die EZB bis Ende 2014 Staatsanleihen im Umfang von 1.700 Mrd. EUR erwirbt und die zusätzliche Liquidität nicht durch Gegenmaßnahmen neutralisiert, würde die Zentralbankgeldmenge auf 2.800 Mrd. EUR steigen. Damit würde sich die Geldbasis seit 2006 – dem Zeitpunkt vor der Finanzkrise – vervierfachen. Im Vergleich zum Anfang des 20. Jahrhunderts ist diese vermeintliche Geldschwemme mickrig. Allein von 1913 bis 1922 legte die Zentralbankgeldmenge um den Faktor 200 zu. 1923 lief die Notenpresse vollends heiß. Darüber hinaus gelangte das Geld aus der Notenpresse zur damaligen Zeit schneller in Umlauf. Ein Großteil der laufenden Staatsausgaben wie Beamtengehälter, Pensionen und Lieferantenrechnungen wurde über die Notenpresse finanziert und landete direkt im Wirtschaftskreislauf. Das ist heute anders. Der Ankauf von Staatsanleihen dient in erster Linie zur Refinanzierung bestehender Staatsschulden. Im Besitz dieser Anleihenbestände sind primär institutionelle Investoren. Wenn sich diese Kapitalsammelstellen von italienischen oder spanischen Staatsanleihen trennen, dann verwenden sie die zufließende Liquidität nicht zum Kauf von Gütern, sondern schichten das Geld in andere Assets wie Bundesanleihen, Unternehmensanleihen und Aktien um. Somit bleibt das Geld aus der Notenpresse an den Kapitalmärkten kleben und löst höchstens eine Vermögens-, aber keine Güterinflation aus. Deshalb sind die Inflationsgefahren in der Eurozone in den nächsten Jahren gering – selbst dann, wenn die EZB ein großes Ankaufprogramm für Staatsanleihen starten würde.

Aber die wachsende Geldmenge könnte doch über die Banken inflationstreibend wirken, oder?

Hartmann: Die Banken könnten theoretisch die zusätzliche Liquidität aus dem Verkauf von Staatsanleihen zur Kreditschöpfung nutzen und dadurch einen Geldschöpfungsprozess in Gang setzen. Derzeit sind sie jedoch eher um eine Reduzierung statt um eine Ausweitung ihrer Geschäftsaktivität bemüht. Nur so können sie dem Druck der Märkte und der Aufsichtsbehörden nach höheren Eigenkapitalquoten gerecht werden. Darüber hinaus kommen auch von konjunktureller Seite wenige Impulse für das Kreditgeschäft. Angesichts der außerhalb Kerneuropas niedrigen Wachstumsdynamik bleibt die Nachfrage nach Investitions- und Hypothekendarlehen gering.

Wie kann der Druck auf die Märkte aufrecht erhalten werden?

Hartmann: Die unbegrenzte Intervention der EZB ist nur sinnvoll, wenn sichergestellt ist, dass sich die Euroländer strikt an den mit der EU-Kommission vereinbarten Konsolidierungspfad halten. Verstöße dagegen müssen bestraft werden. Die Einführung von Eurobonds oder eine nochmalige Vergrößerung des Rettungsschirms sind genauso anfällig für Trittbrettfahrer-Verhalten wie der Staatsanleihenankauf durch die Notenbank. Im Vergleich zu diesen Lösungen hat die EZB-Intervention aber Vorteile: Die Währungshüter besäßen das Drohpotential, jederzeit die Käufe bestimmter nationaler Staatsanleihen einzustellen oder erst ab einem bestimmten Zinsniveau, etwa von  7,0 %, einzugreifen. Der Marktdruck bliebe deshalb in gewissem Umfang erhalten. Mit der Einführung von Eurobonds wäre hingegen jegliche Zinsdifferenzierung ausgeschaltet und der Weg in die Haftungsunion unumkehrbar.


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