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Industrielle Wettbewerbsfähigkeit und europäische Energiesicherheit

von Marie Lassegnore, CFA, Head of Financial and ESG Analysis and member of the Executive Committee, Crédit Mutuel Asset Management

Marie Lassegnore © Crédit Mutuel Asset Management

In der Debatte über „Verein­fachung oder Deregu­lierung“ steht die Omnibus-Verordnung im Mittel­punkt, die darauf abzielt, den Rechts­rahmen für Nachhaltig­keits­an­forderungen in Europa zu verein­fachen. Doch auch eine andere Initiative der Euro­päischen Kommission, die die Wett­bewerbsfähigkeit der euro­päischen Industrie steigern soll, verdient Aufmer­ksamkeit: Der Clean Industrial Act stützt sich in seinen Vorschlägen auf den Draghi-Bericht, der von der Europäischen Kommission im vergangenen September in Auftrag gegeben wurden. Darin werden drei mögliche Vorgehensweisen aufgezeigt:

- Schließen der Innovationslücke gegenüber anderen Weltmächten: Diese Lücke zeigt sich in verschiedenen Bereichen, etwa in den im Vergleich zu anderen Ländern geringen Investitionen Europas in Forschung und Entwicklung. Zudem gibt es keine europäischen Unternehmen, die in den letzten 50 Jahren gegründet wurden und eine Marktkapitalisierung von mehr als 100 Milliarden Euro erreichen. In den USA hingegen wurden im gleichen Zeitraum sechs Unternehmen im Wert von mehr als 1.000 Milliarden Euro gegründet. 

- Beschleunigung der Dekarbonisierung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit: Die europäischen Unternehmen haben mit Strompreisen zu kämpfen, die zwei- bis dreimal so hoch sind wie in den USA. Der Erdgaspreis beträgt in Europa das Vier- bis Fünffache des US-Preises. Diese Diskrepanz ist nicht nur auf den Mangel an natürlichen Ressourcen in Europa zurückzuführen, sondern auch auf die Besteuerung und die Gebühren auf dem Energiemarkt.

- Mehr Sicherheit und Souveränität bei der industriellen Versorgung: Besonders angesichts der wachsenden geopolitischen Spannungen ist es wichtig, die Abhängigkeit von kritischen Materialien und Technologien zu verringern.  Europa ist derzeit bei Rohstoffen stark von einigen wenigen Lieferanten abhängig. So deckt China 100 % des Bedarfs der Europäischen Union (EU) an Seltenen Erden, die Türkei liefert 99 % des Borbedarfs und Südafrika deckt 71 % des Platinbedarfs.

Der Clean Industrial Deal skizziert daher konkrete Maßnahmen zur schnellen Abhilfe: Sowohl für energieintensive Industrien (z. B. Stahl, Metalle usw.), die dekarbonisiert und elektrifiziert werden müssen, ohne unlauteren Wettbewerb oder komplizierte Regulierung, als auch für den Clean-Tech-Sektor (z. B. saubere Energie, Elektrofahrzeuge usw.), der für die künftige Wettbewerbsfähigkeit von zentraler Bedeutung ist und für den industriellen Wandel, die Kreislaufwirtschaft und die Dekarbonisierung unerlässlich ist.

Die zwei Säulen des Clean Industrial Deals – Erschwingliche Energie und Kreislaufwirtschaft:

Erschwingliche Energie – die erste Säule – soll die Energiekosten für Industrie, Unternehmen und Haushalte kurzfristig senken und gleichzeitig den Elektrifizierungsgrad der Weltwirtschaft von derzeit 21,3 % auf 32 % bis 2030 erhöhen.

Die Reduzierung der Energiekosten könnte die Förderung langfristiger Stromabnahmevereinbarungen (PPAs & Contracts for Difference – CFDs) mit Garantien für kleine und mittlere Unternehmen sowie energieintensive Industrien umfassen. Zudem werden steuerliche Maßnahmen vorgeschlagen, die eine Besteuerung von Strom für energieintensive Industrien auf null setzen könnten.

Bemühungen, die Energiekosten zu senken, müssen auch einhergehen mit:

I) einem beschleunigten Einsatz sauberer Energie und Elektrifizierung in Europa bei gleichzeitiger Verkürzung der Genehmigungsfristen für die Projektumsetzung;

II) der Gewährleistung eines reibungslosen Funktionierens der Gasmärkte durch Abschaffung der derzeitigen Steuern und Gebühren.

Die Konzentration auf die Kreislaufwirtschaft – die zweite Säule des Clean Industrial Deal – steht im Einklang mit dem Ziel der EU, bis 2030 weltweit führend in diesem Bereich zu werden. Der Vorschlag zu kritischen Rohstoffen sieht eine Recycling-Zielquote von 25 % bis 2030 vor. Dieses Ziel wird durch Maßnahmen unterstützt, die das Recycling fördern und die Ausfuhr von Abfällen begrenzen, um die Abhängigkeit der EU von Rohstoffen zu verringern. Diese Rohstoffe werden wiederverwendet, aufgearbeitet, recycelt und in der Wirtschaft wieder eingesetzt. Das Kreislaufpotenzial des europäischen Marktes für die Wiederaufbereitung dürfte bis 2030 von derzeit 31 Milliarden Euro auf 100 Milliarden Euro ansteigen und 500.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Der einzige Nachteil des Clean Industrial Deal ist derzeit das Anspruchsniveau. In der Tat hat die Europäische Kommission 480 Milliarden Euro an erforderlichen Investitionen genannt, während der Draghi-Bericht 750 bis 800 Milliarden Euro empfiehlt, um die Herausforderung zu bewältigen. Wie so oft bei europäischen Vorschlägen ist die Absicht gut, jedoch kann das Handlungspotenzial ohne Koordinierung und konsequente Bemühungen auf nationaler Ebene nicht voll ausgeschöpft werden.

Crédit Mutuel Asset Management ist eine Asset-Management-Gesellschaft der La Française Gruppe, der Holdinggesellschaft des Asset-Management-Geschäftsbereichs der Credit Mutuel Alliance Fédérale.

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