Das hohe politische Risiko durch die Krise in Griechenland und an den Randmärkten hält an, trotz der vom griechischen Parlament verabschiedeten Spar- und Reformmaßnahmen. Auch die Bedenken wegen mangelnder politischer Abstimmung innerhalb der EWU sind gestiegen. Durch Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland und den Niederlanden und vielen anderen Ländern ist der Entscheidungsprozess in der EU zu einem Zeitpunkt ins Stocken geraten, da die Märkte auf politische Führung und überzeugende Maßnahmen hoffen. Bleiben diese aus, bestehen deutliche Abwärtsrisiken an den Aktienmärkten.
Vor diesem Hintergrund haben wir unsere Aktienposition gegenüber Anleihen auf eine Untergewichtung reduziert.
„Ansteckungsgefahr“ steigt
Zwar hat sich die Situation in Griechenland im Laufe der Woche etwas entschärft. Gleichwohl ist die Gefahr eines Dominoeffekts gestiegen: Die Herabstufung portugiesischer und irischer Staatsanleihen sowie die ungeklärte Frage, inwieweit sich private Gläubiger an einer Lösung beteiligen sollen, hat auch außerhalb Griechenlands zu einer Ausweitung der Spreads an der EWU-Peripherie geführt. Dabei gibt vor allem die Situation in Italien, das sich grundlegend von den anderen Wackelkandidaten unterscheidet, Anlass zur Sorge. Geringes strukturelles Wachstum und das Unvermögen der italienischen Regierung, geringfügige Anpassungen bei der Primärbilanz vorzunehmen, um die Schuldenquote zu stabilisieren, belasten die Märkte.
Die allmähliche Verkürzung des Marktzyklus mag auf den Glaubwürdigkeitsverlust der Politiker zurückzuführen sein. Insofern besteht die Befürchtung, dass sich die Staatsschuldenkrise in der EWU zu einem Dauerrisiko entwickelt. Das Ausmaß dieses Risikos befindet sich in ständigem Wandel. Solange es Politikern jedoch nicht gelingt, überzeugende Lösungen für die Griechenlandkrise zu schaffen, wird dieses Risiko anhalten.
Weiteres politisches Risiko: US-Schuldengrenze
Am 16. Mai erreichte die US-Regierung ihre Schuldenobergrenze (14,3 Billionen USD). Damit kann die US-Regierung keine neuen Schulden mehr aufnehmen, es sei denn, der Kongress bewilligt eine Erhöhung der Schuldengrenze. Bis Anfang August kann die Regierung noch mit Sondermaßnahmen dafür sorgen, dass der Staat seine Rechnungen bezahlen kann. Ab dann gibt es allerdings kaum mehr Spielraum. Derzeit ringen Republikaner und Demokraten um eine politische Lösung für das Schuldenproblem.
Fed-Chef Ben Bernanke warnte kürzlich explizit vor den Folgen, die ein Versäumnis, den Kreditrahmen zeitnah zu erhöhen, nach sich ziehen würde. Die Folgen für den Aufschwung wären verheerend und es könnte zu einer Rezession wie im Jahr 2008 kommen. Hier steht nicht weniger als die Zahlungsfähigkeit der USA auf dem Spiel! Letztendlich vertrauen wir darauf, dass sich Republikaner und Demokraten einigen werden, doch das politische Risiko für die Märkte lässt sich nicht leugnen.
Weltkonjunktur anfälliger für Erschütterungen
Die Weltkonjunktur ist immer noch von den Spätfolgen der Kreditkrise und weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten gezeichnet. So hat sich der bis Mitte April gestiegene Ölpreis stärker als sonst auf den realen Konsum in den USA ausgewirkt. Normalerweise verfügen die Verbraucher über mehr Spielraum, um höhere Ölpreise und Ähnliches abzufedern. Da die Folgen der Kreditkrise jedoch noch nicht überwunden sind, sind die Haushalte derzeit nicht bereit, sich erneut zu verschulden.
Nicht alles düster: siehe Japan und Deutschland …
Seit der Katastrophe im März erlebt Japan eine V-förmige Erholung. Im Mai legte die Industrieproduktion um 5,7% gegenüber dem Vormonat zu und auch die Konsumausgaben stiegen deutlich. Umfragen zufolge sollen diese Trends anhalten.
Innerhalb Europas bestehen nach wie vor enorme Unterschiede: Während der deutsche Einkaufsmanagerindex des verarbeitenden Gewerbes (PMI) bei 56,0 liegt, ist dieser Index in Spanien und Italien auf unter 50 gefallen. Auch andere deutsche Wirtschaftsdaten (Arbeitsmarkt, Verbrauchervertrauen, Auftragslage usw.) deuten darauf hin, dass Deutschland der Konjunkturmotor Europas bleiben wird. Wir erwarten, dass dies auch weiterhin auf die übrigen Kernländer ausstrahlen wird – und letztlich vielleicht auch auf die Randstaaten.
… doch die Schwächephase in den USA hält an
In den USA sind die Abwärtsrisiken erheblich gestiegen: Die Produktionslücke ist weiterhin enorm und die Dynamik am Arbeitsmarkt lässt faktisch nach. Andererseits hat sich die Beschäftigungskomponente der PMI-Indizes bisher gut behauptet und deutet auf einen monatlichen Zuwachs von rund 200.000 neuen Stellen hin. Diskrepanzen zwischen Umfragedaten und Fakten waren in der Vergangenheit nicht ungewöhnlich. Welches Signal zutreffend ist, wird sich erst in ein, zwei Monaten zeigen. Vorerst bleiben wir bei unserer Prognose, dass die US-Wirtschaft in der zweiten Hälfte 2011 um ca. 3% pro Jahr zulegen wird, nachdem das Wachstumstempo im ersten Halbjahr knapp unter 2% lag.
Im Hinblick auf die gegenwärtige Ungewissheit ist es indes fraglich, ob US-Makrodaten die bereits nervösen Märkte beruhigen können.
Angesichts wachsender politischer und konjunktureller Risiken Reduzierung unserer Risikoposition. Zu Beginn der vergangenen Woche haben wir unsere Risikoposition durch Zurückfahren der Übergewichtung bei Immobilien und Rohstoffen (auf neutral) reduziert. Am 15. Juli gingen wir zu einer Untergewichtung von Aktien gegenüber Anleihen über. Diese Schritte wurden im Zuge der sich verschärfenden Staatsschuldenkrise und der damit verbundenen „Tail Risks“ und des möglichen Dominoeffekts notwendig. Bereits vor ein paar Wochen warnte der IWF, dass die anhaltende Unentschlossenheit der EU nicht nur in Europa, sondern auch weltweit das Vertrauen bei Investoren, Verbrauchern und Unternehmen untergraben könnte.
ING IM Marktexpress: Politisches Risiko – US-Schuldenkrise
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