Der Zins als Steuerungsgröße für die Allokation von Kapital verliert zunehmend seine Wirkung, wenn sich kurz- und langfristige Zinsen gleichzeitig nahe der Nulllinie bewegen und die Zinskurve nahezu eben ist. Dies führt in der Folge zu sinkenden Erträgen der Unternehmen und zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Zu dieser Einschätzung kommt Bill Gross, Fondsmanager und Anlagestratege des US-amerikanischen Asset Manager Janus Capital in seinem aktuellen Investmentausblick. „Das klingt zunächst widersprüchlich. Denn wenn sich eine Regierung oder ein Unternehmen nahezu kostenfrei Geld leihen kann, sollte es zumindest theoretisch kein Problem sein, Profit daraus zu schlagen oder die Wirtschaft anzukurbeln“, sagt Gross. „Der Punkt ist allerdings: Wenn es in unserem modernen Finanzsystem nicht mehr möglich ist, die zur Verfügung stehenden Kreditmittel profitabel zu verwenden, verlangsamt sich das System tendenziell und hemmt damit die Unternehmensgewinne ebenso wie das Wachstum der gesamten Volkswirtschaft.“
Als Beleg für seine These verweist Gross auf das Zusammenspiel zwischen den Unternehmensgewinnen der US-Firmen und der Zinskurve am US-Kapitalmarkt, deren Entwicklung er für den Zeitraum von 1993 bis 2015 verglichen hat. „Mit einem zeitlichen Versatz von ein bis zwei Jahren zeigt sich eine bemerkenswerte Korrelation zwischen steigenden beziehungsweise sinkenden Zinssätzen und dem Wachstum der Unternehmensgewinne“, sagt Gross, „sogar dann, wenn die Verflachung der langfristigen Sätze entgegen der gleichzeitigen Straffung der Geldpolitik durch die Fed erfolgt, so wie das in den Jahren von 1993 bis 1997 der Fall war.“ Mit ihrer Politik der extrem niedrigen Zinsen, so die Schlussfolgerung des Anlageexperten, egalisieren die Notenbanken den Faktor (Lauf)Zeit bei der Aufnahme von Krediten und treiben zwar die Vermögenspreise hoch, ohne dass sie es jedoch schaffen, dass es zu einer Wertschöpfung und damit neuen Vermögenswerten in der Realwirtschaft kommt. „Die Notenbanker sollten sich nun allesamt fragen, ob ihre Politik des ultra-billigen Geldes wirklich das Wirtschaftswachstum stimuliert oder vielleicht die Unternehmensgewinne drückt und damit eine konjunkturelle Erholung behindert“, so Gross. „Die bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass eher das Letztere anzunehmen ist.“
Was sollten nun Notenbanken tun, die diesen Zusammenhang verstanden haben? Für Gross liegt die Antwort auf der Hand. „Sie sollten versuchen, eine steiler verlaufende Zinskurve zu erzeugen und ihre Leitsätze erhöhen, um den Geschäftsbanken eine Geschäftspolitik zu ermöglichen, die sich stärker als bislang an finanziellen Kriterien orientiert“, sagt der Janus-Experte. „Und auch die privaten Sparer haben dann wieder die Möglichkeit, höhere Zinsen zu erzielen und damit ihre verfügbaren Einkommen zu steigern.“ Doch wie soll es möglich sein, die Zinskurve steiler zu machen, wenn die Notenbanken gleichzeitig daran gehen, ihre Geldpolitik wieder zu normalisieren? „Dafür gibt es meiner Meinung nach zwei Möglichkeiten“, sagt Gross. „Die eine ist, das Inflationsziel zu erhöhen. Bei einer Anhebung auf weltweit drei Prozent, sollten die Zinssätze im zehn- bis dreißigjährigen Laufzeitbereich stärker steigen als die kurzfristigen Sätze.“ Die zweite Möglichkeit besteht Gross zufolge darin, dass die Fed die Strategie bei ihren Anleihekäufen ändert. „Statt Anleihen mit zwei bis fünf Jahren zu verkaufen und den Erlös in Langläufer zu investieren, sollte sie genau das Gegenteil machen“, empfiehlt Gross. „Aber das werden Yellen und Draghi nicht tun, weil sie an ihre monetären Modelle glauben.“ Die Folge sind seiner Einschätzung nach weitere Ungleichgewichte zwischen den am Kapitalmarkt angebotenen Sparvermögen und Investitionen, eine flache Zinskurve und ein schwaches Wirtschaftswachstum, das zwischen einem und zwei Prozent liegen wird. „Die Notenbanken sind sicherlich nicht dumm - aber verbohrt, weil es ihnen widerstrebt, ihre Politik an eine Ökonomie anzupassen, die sich ausgehend vom Finanzsektor in den vergangenen 40 Jahren erheblich verändert hat.“
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